: Unbesiegbar besiegt
Schauspielhaus Frankfurt Die Schlagkraft der Worte: Michael Thalheimer inszeniert „Penthesilea“
Die ersten Worte gelten ihrem Ego: „Ach! – Ich“, stößt Constanze Becker hervor und wird es am Ende fragend wieder tun. Hoch oben sitzt sie barbusig mit dem blutig toten Achilles in ihrem Schoß: Penthesilea als übermächtige Schmerzensmutter, die an diesem Abend zurückblickt.
Zuvor läuft Blut aus ihrem staunenden Mund. Nur etwa 100 Minuten benötigt der geniale Verknapper Michael Thalheimer, um Kleists zweihundert Jahre alte Liebesschlacht auf die Bühne des Frankfurter Schauspielhauses zu wuchten. Einige der 24 Auftritte streicht er ganz, die verbleibenden kürzt er. Das kennt man von ihm, doch diesmal wirkt alles noch konzentrierter und purer. Zudem legt er das, was im Stück Boten und Mauerschauer sprechen, den Akteuren selbst in den Mund und erhöht damit die Schlagkraft der Worte.
Einmal mehr erweist sich Thalheimer als begnadeter Tragödien-Flüsterer. Die Sprache gewordenen Gewaltorgien Kleists übersetzt er in zeitlos archaische Bilder und Bühnenmomente und kann dabei auf seine bewährte Crew sowie Hauptdarstellerin Constanze Becker vertrauen, die bei ihm schon als Klytaimnestra, Antigone und Medea brillierte.
Halsbrecherisch steil
Olaf Altmann hat diesmal eine halsbrecherisch steile Bühne gebaut, die nach oben spitz zuläuft wie der Dolch, den Penthesilea sich am Ende aus heiß ätzender Reue selbst schmiedet und in die Brust jagt. Das Personal samt den Heerscharen, die Kleist für sein Trauerspiel auffährt, reduziert Thalheimer auf die im antiken Theater üblichen drei Schauspieler. Josefin Platt leiht mal einer Amazone, mal Odysseus, mal sonst wem ihre schneidende Stimme aus blutend roten Lippen und fungiert als an der Rampe stehende Beobachterin.
Ihr entgegen kollert zu Beginn mit lautem Getöse der nackte Achilles aus Penthesileas Schoß. Jetzt kann die Geschichte beginnen. Als Rückblick, in Gestalt eines Albtraums. Felix Rech spielt Achilles im lässig getragenen Anzug mit gut gebauter Siegesgewissheit und wirkt vergleichsweise beugsam, weich, weltlich. Der beseelten Kampfmaschine Constanze Becker gegenüber, die so hart und gleichzeitig zart agiert und deren Worte wie aus fernen Welten tönen, scheint dieser Achilles unterlegen.
Penthesilea gibt dem Stück den Titel. Sie spricht in Frankfurt die ersten Worte. Ihr Ich hallt durch den Saal. Sie bestimmt, was dort letztendlich gespielt wird. Die Amazonenkönigin als übermächtige Egomanin. In der Gestalt von Constanze Becker scheint sie nur aus Stimme und Körper zu bestehen. Es ist keine schöne Stimme im herkömmlichen Sinn, aber eine, der man nicht entkommt. Womöglich hätte man ihr auch das ganze Stück als Monolog auf den Leib schreiben können, wie es Hans-Jürgen Syberberg einst für Edith Clever tat.
Auch die Frankfurter Penthesilea ist Einzelkämpferin; Josefin Platt und Felix Rech fügen dem urgewaltigen Spiel der Becker nicht viel hinzu. In ihrem betörend giftgelben Kleid (Kostüme: Nehle Balkhausen), dessen Corsage sie wie eine Rüstung an- und ablegt und dabei ihren so gar nicht busenlosen Oberkörper entblößt, ist sie die unbestrittene Anführerin.
Die Amazone und der König des Griechenvolks begegnen sich immer wieder auf dem Schlachtfeld bei Troja. Als er sie besiegt, fällt sie in eine Art Traum und erwacht daraus im Glauben, die Siegerin zu sein. Als Achilles sich ihr später offenbart, kann sie seinen Sieg oder Betrug nicht ungesühnt und folglich ihn auch nicht am Leben lassen. In Frankfurt gießt sie tiefrotes Theaterblut über seinen Scheitel und nimmt ihn danach in Besitz.
Kleist selbst sprach davon, dass sein Käthchen von Heilbronn die Kehrseite der Penthesilea sei, ihr anderer Pol. Fordert die Liebe von Käthchen die totale Hingabe an den Geliebten, fordert sie von Penthesilea seine totale Unterwerfung. Küsse fügt sie ihm wie Bisse zu. Der Liebesakt als Blutrausch. Penthesilea vernichtet Achilles aus Liebe. Bei Kleist folgt auf die unsagbare Tat eine „Pause voll Entsetzen“. Bei Thalheimer ergießt sich der schönste Seligkeit verheißende Popsong „So you’ll aim toward the sky“ über das Paar. Penthesilea sitzt wie zu Beginn halbnackt und blutbesudelt da, starr vor Schmerz und Entsetzen. Unbesiegbar und besiegt zugleich. Halb Furie, halb Grazie. Ein überwältigend zärtlicher Moment. Shirin Sojitrawalla
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