Berliner Szenen: In der Philharmonie
Lady Gaga und Opa
In den Feuilletons heißt es ja immer, das Klassikbusiness sei total verpoppt. Ich weiß gar nicht, warum die so fies sein müssen, vorgestern sah ich Lady Gaga in der Philharmonie, und wenn ich jetzt behaupte, dass man die Drogen, die sie nimmt, nicht im Berghain bekommt, ist das bewundernd gemeint. Lady Gaga (im Programmheft unter dem Alias Simone Kermes) kommt also auf die Bühne und singt zwei Barockarien, darunter Händels „Lascia ch’io pianga“ – so was wie „We are the world“. Sie tanzt dazu und wippt, ein rosafarbener Riesenbonbon. „Ich designe meine Kleider selbst!“, hatte sie zuvor dem Moderator erklärt, der sonst bei Klassik Radio erklärt, welcher Starpianist gerade Starpianist ist.
Dann noch eine Arie. Wieder Koloratur, wieder wippt das Bonbon, das Publikum klatscht mit, aber Lady Gaga wäre nicht Lady Gaga, wenn ihr das reichte. Sie tanzt an den Bühnenrand, winkt einem jungen Mädchen, das empört noch tiefer in seinen Sessel sinkt (tja, liebe Eltern, das war’s wohl erst mal mit Klassik). Dann muss eben der Opa ran, in seinem letzten Jahrzehnt. Auf krummen Beinen wankt er zur Bühne, Lady Gaga zieht ihn hoch, sie betanzt ihn und dreht ihn, nach rechts, nach links, nach rechts. Plötzlich: Der Opa sinkt zu Boden. Bleibt liegen. Auf der Bühne der ausverkauften Philharmonie. Meine Mutter und ich schauen uns an.
Der erste Gedanke: Scheiße, sie muss da runter, den Opa wiederbeleben, aber wie soll sie das machen, meine Mutter ist kniekrank, sie wird ewig brauchen von Block G auf die Bühne!
Der zweite Gedanke: Easy. Wir sind in der Philharmonie. Der halbe Block A ist voll mit Ärzten.
Opa liegt noch immer. Lady Gaga singt einfach weiter. Sensationell professionell! Alle klatschen. Er rafft sich hoch, tanzt, am Ende tragen ihn zwei Männer von der Bühne. Gibt’s leider nicht auf YouTube. Hab schon geguckt. Emilia Smechowski
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