piwik no script img

Das Ende der Dialektik

KUNST In der Spedition will der Leipziger Künstler Andrzej Steinbach den Funken neu entfachen, der am Anfang einer jeden gesellschaftlichen Veränderung stehen muss

von Andreas Schnell

Die Banane ist weg! Durch die Fenster der Beletage der Spedition leuchtete sie einst gelb herein, von jenseits der Gleise. Seit einem halben Jahr ist sie fort. Sie war keine Kunst, jedenfalls nicht im engeren Sinn, sondern Werbung des Früchtegroßhandels, der im Gebäude gegenüber der Spedition residierte.

Aber natürlich erinnerte sie an den legendären Bananenaufkleber vom ersten Album der Velvet Underground mit Nico, produziert von Andy Warhol, der womöglich seine Freude an dem Ding gehabt hätte, das nun fort ist. Die Banane hätte im Velvet-Sinne aber auch hervorragend zum frei lärmenden Konzert von V.B. Schulzes Bernsteinzimmer am Donnerstagabend gepasst, das im Anschluss an die Vernissage von „Funke“ stattfand. Und als Begleitlicht zur Vernissage selbst in gewisser Weise ebenfalls. Andrzej Steinbach hat nämlich mit „Funke“ eine Klanginstallation geschaffen, die ganz ausdrücklich auch das Verhältnis von Pop, Kommerz und Politik im Sinn hat, und das war zu kaum einer Zeit so relevant wie in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren, als Velvet Underground Hippie-Träume mit düsteren Drogen- und Sado-Maso-Fantasien erschütterten.

Im ersten Raum der Ausstellung, die am Donnerstag eröffnet wurden, erklingt von einer Schallplatte in nüchternem Ton jene legendäre Fernsehszene als Nacherzählung, in der Nikel Pallat, Manager der Band Ton Steine Scherben, mit einer Axt versucht, den Studiotisch zu zertrümmern. Was als Yotube-Video millionenfach geklickt wird, als spektakuläre Action aus längst vergangenen Zeiten, fokussiert hier auf Argumente, um evolutionäre Strategien versus revolutionäre, darum, ob beispielsweise ein Deal mit einem internationalen Konzern vereinbar ist mit dem Ringen um andere, bessere Verhältnisse.

Auf einer zweiten Schallplatte trägt Marie Crescence Benhengue die Namen aller RAF-Mitglieder vor, wobei wegen ihres Akzents zwar einige Namen kaum verständlich sind, was aber, versteht sich, nicht zuletzt daran liegt, dass wir ja vielen Namen ohnehin kaum kennen, oder hätten Sie Henning und Wolfgang Beer dem bewaffneten Kampf zugeordnet? Steinbach lenkt mit dieser verfremdet prosaischen „Liste“, so der Titel der Platte, das Augenmerk weg von den „Stars“ wie Ulrike Meinhof oder Andreas Baader, die längst von historischen Figuren zu Mythen geworden sind. Und entheroisiert sie zugleich.

Was als Youtube-Video millionenfach geklickt wird, fokussiert hier auf Argumente

Die dritte Schallplatte, „A Springbord to your Future“, enthält eine Art Remix eines Werbefilms der Unternehmensberatung McKinsey, in dem in unerträglichem Sprech von Kunst, Zukunft und Courage von der Leidenschaft des Künstlers, die Welt zu verändern, schwadroniert wird, was unangenehm an recht gegenwärtige Teile der Kreativwirtschaft erinnert. Ein von Steinbach selbst entwickeltes Musikverarbeitungsprogramm zerlegt die Tonspur willkürlich in ihre Einzelteile, mit dem Ergebnis, dass die Botschaft im Grunde erhalten bleibt. Der vorläufige Endpunkt der Dialektik von Markt und Subversion, die 1971 bei Nikel Pallat und seinen Mitdiskutanten zumindest als Ahnung antizipiert wurde.

Natürlich ist die These schon ein bisschen steil: dass sich mittels dieser Distanz per Verfremdung, verstärkt noch durch die karge Einrichtung der drei Plattenspieler in ansonsten leeren Räumen, vielleicht der Funke wieder schlagen ließe, der so erloschen scheint, in einer Zeit, in der vor allem die Verwaltung des Bestehenden auf der politischen Agenda steht – wenn nicht gar Schlimmeres. Aber auch das wäre immerhin Hinweis, verbunden mit ein bisschen Optimismus. Jetzt, wo sie uns sogar die Bananen wegnehmen.

Bis 20. 12., Spedition

16. 12., 20 Uhr, Vortrag von David Wallraf: „Modulationen des Schreckens – Die Macht der Musik zwischen Gewalt und Kontrolle“

17. 12., 20 Uhr: „Die dritte Generation“, Film von Rainer Werner Fassbinder

20. 12., 19.30 Uhr: „Für immer und dich – Ein Abend in Erinnerung an Rio Reiser“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen