: Komplexe Verhältnisse
DDR Mit „Verwirrung der Liebe“ zeigt das Kino in der Brotfabrik den letzten Film des bulgarischen Regisseurs Slatan Dudow
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von Carolin Weidner
Seit bald zwei Jahren sind Kunststudentin Sonja (Annekathrin Bürger) und Medizindoktorand Dieter (Willi Schrade) ein Paar. Auf einem Faschingsball in der Kunsthochschule Weißensee erkennen sie sich trotzdem nicht – beziehungsweise: Dieter tänzelt an seiner Sonja wiederholt vorbei. Und schlimmer: wirft sogar ein Auge auf eine andere. Die heißt Siegi (Angelica Domröse) und Dieter lädt sie sogleich auf ein Gläschen Sekt ein, ist auch um ein paar Küsse nicht verlegen. Sonja verfolgt das frohe Treiben derweil aus dem Hinterhalt – und vergießt später in der eigenen Wohnung einige Tränen. Dennoch ist sie bereit, dem leichtfüßigen Dieter zu verzeihen. Dumm nur, dass der immer wieder auf das Mädchen zu sprechen kommt. Er sieht sie in einem Bus (und nimmt die Verfolgung mit einem Taxi auf) oder in der U-Bahn (und schenkt ihr Blumen aus Sonjas Geburtstagsstrauß). Für Sonja ist die Sache indessen längst klar: Ihr Dieter hat sich verguckt.
Über eine Woche zeigt das Kino in der Brotfabrik Slatan Dudows Reigen „Verwirrung der Liebe“ (1959). Den Rahmen zur Veranstaltung bildet eine regelmäßige Schau des Berlin-Film-Katalogs. Dieser ist als ein Projekt des Autors und Filmjournalisten Jan Gympel der möglichst vollständigen Systematisierung aller Berlinfilme verpflichtet. „Verwirrung der Liebe“ darf dabei als besonders liebenswertes Kleinod gelten, das erfreulich wenig ins Moralische zielt. Vor allem auf die Zeichnung von Figur Sonja hat Dudow einige progressive Kräfte vereint. Sie tritt zwar ganz klar als Gegenspielerin zur jüngeren Siegi an (“Verwirrung der Liebe“ ist auch das Leinwanddebüt der damals 17-jährigen Domröse), doch ist hier nicht mit Eifersüchteleien, Giftpfeilen oder dramatischen Szenen zu rechnen. Malerin Sonja wahrt Haltung, schüttet den Schmerz nach Möglichkeit nicht über Dieter aus. Auch nicht über Siegi.
Dass Dudows Defa-Lustspiel ein nahezu apolitisches Werk ist, hat ihm sowohl Kritik als auch Lob beschert. Man ist auch mit einer verhältnismäßig großen Freizügigkeit beschenkt – „Verwirrung der Liebe“ enthält die ersten Nacktszenen in einem DDR-Film überhaupt. Doch ein typisches Beiwerk ist nicht unter den Tisch zu kehren: So ist Dieter Leiter der Agitprop-Gruppe „Die Wecker“ (ohnehin beschäftigt sich der junge Mann mit allerhand, außer dem Lernen für sein Medizinstudium). Klassisch auch: ein Campingurlaub an der Ostsee. Oder Sonjas Feriengestaltung: Auf Anraten eines Professors macht sie ein Praktikum in der Produktion. Dort trifft sie überraschend auf Siegi, die sich als einfache Arbeiterin entpuppt. Die beiden Frauen kommen ins Gespräch, Sonja entschließt sich sogar dazu, ein Portrait von Siegi anzufertigen. Schnell plappert diese auch von ihrem Verlobten Edy (Stefan Lisewski). Ein eifersüchtiger Boxer, der sich bereits ihr gesamtes männliches Umfeld vorgeknöpft hat. Natürlich dauert es nicht lange, da hält auch Edy Einzug in das Dieter-Sonja-Siegi-Dreieck.
„Verwirrung der Liebe“ ist der letzte Film des bulgarischen Regisseurs Slatan Dudow (“Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“, „Unser täglich Brot“, „Der Hauptmann von Köln“), der bei Fritz Langs „Metropolis“ hospitierte, Brecht-Stücke am Theater inszenierte und Helene Weigel dirigierte. Während der Dreharbeiten zu „Christine“ verunglückte Dudow bei einem Autounfall. Dabei begann sich gerade bei den letzten Defa-Produktionen eine interessante Tendenz abzuzeichnen: ein besonderer Fokus auf komplexe Frauenpsychogramme. Nahm „Frauenschicksale“ von 1952 die Betrogenen des Westberliner Womanizers Conny Lohmüller in den Blick, konzentrierte sich der leider unvollendet gebliebene „Christine“ (1963) auf die gleichnamige Landarbeiterin und ihr Leben mit drei unehelichen Kindern. Außenseiterfrauen, von denen Sonja keine ist. Mit einer raren Tiefe versieht er aber auch, und gerade, sie.
Verwirrung der Liebe: Kino in der Brotfabrik, 10.–16. 12., 18 Uhr, am 14. 12. mit einer Einführung von Jan Gympel
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