: Visuell intelligent
Buch Körper, Raum, Macht: der kluge, informative Bildband „Body of Art“
Gleich die erste Reproduktion nimmt einen unbedingt für diesen Band ein. Zu sehen ist eine schwarze junge Frau, in weißes Musselin gehüllt, sitzt sie halbnackt da und blickt mit gelassener Eleganz dem Betrachter entgegen. Marie-Guillemine Benoists 1800 entstandenes Gemälde „Portrait d’une négresse“ zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit eine freigelassene Sklavin – sechs Jahre zuvor war die Sklaverei im französischen Kolonialreich abgeschafft worden.
Die Schönheit des Bildes und seiner Protagonistin sind auffallend. Man meint, das Modell könne hier nur zu eigenen Bedingungen sitzen. Tatsächlich wird das Gemälde gerne als Symbol weiblicher Emanzipation und Feier der Menschenrechte gesehen. Auch deshalb, weil die Künstlerin sich als eine der wenigen Malerinnen ihrer Zeit durchgesetzt hatte und im Atelier Jacques-Louis David arbeitete. Ob es wirklich so einfach ist mit der Interpretation des Porträts, sei dahin gestellt. Aber das Gemälde schlägt dem Modell gegenüber einen anderen Ton an und sticht aus der malerischen Behandlung des nackten weiblichen Körpers ihrer männlichen Vorgänger wie ihrer Zeitgenossen hervor.
Paradigmatische Kunstwerke dieser Art gibt es immer wieder in der Phaidon-Kompilation „Body of Art“. Das kann dann das homosexuelle Begehren betreffen, das Eingang in die Bildwelt des 20. Jahrhundert findet, etwa in der offensiven Alltäglichkeit und spielerischen sexuellen Anmache in Peter Hujars Porträtfotografie „Daniel Schook Sucking Toe (Close-up)“ von 1981. Sie wurde beispielhaft für eine ganze Fotografengeneration, man denke etwa an Wolfgang Tillmans. In zehn Kapiteln wird die Darstellung des Körpers und seine entsprechende Bedeutung in der Kunst untersucht: Schönheit, Identität, Macht, Religion und Glauben, Sexualität und Geschlecht, Körpergefühl und Körpergrenzen werden ebenso behandelt wie die Frage nach Körper und Raum. Oder es wird dem verachteten beziehungsweise dem abwesenden Körper nachgegangen.
Nach einer thematischen Einleitung werden jeweils die zentrale Werke der Kunstgeschichte in Bild und Begleittext vorgestellt. Überraschende Gegenüberstellungen sorgen für produktive Irritation. So werden historische Werke neben zeitgenössischen abgebildet, antike neben außereuropäischen Artefakten oder figurative neben abstrakten und konzeptuellen Arbeiten. Dieser Anlage vor allem ist die visuelle Intelligenz des Bandes geschuldet, das zuvorderst ein Coffee Table Book ist, glücklicherweise aber über dieses Format hinauswächst. Brigitte Werneburg
„Body of Art“. Phaidon Editors. Phaidon Berlin 2015, 440 Seiten, 500 Abbildungen, 49,95 Euro
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