piwik no script img

Wenn man sich eine Oma kapert

Hörbücher Vom unwirtlichen Universum über die Entführung von Kasperles Großmutter bis hin zum neuesten Fall aus der Baker Street: Hörbuchproduktionen für jedes Alter

Auch im Hörbuch macht es sich gut: Döblingers Kasperlensemble Foto: Gerald von Foris

von Sylvia Prahl

Oftmals ist Populärwissenschaft ein Fluch. Im Fall der Hörbuchproduktion „Das Universum ist eine Scheißgegend“ ist sie ein Segen. Die Physiker Werner Gruber (Uni Wien) und Heinz Oberhummer (TU Wien) sowie der Kabarettist und Autor Martin Puntigam (vom öffentlich-rechtlichen Sender ORF) erklären als selbst ernannte „Science Busters“ das Universum – jedenfalls den Teil davon, der erklärlich ist. Die Eigenheiten der Planeten präsentieren sie unterhaltsam, fesselnd und nie abgehoben – wenngleich es nicht schadet, schon einmal von Weißen Zwergen und Roten Riesen gehört zu haben. Doch bei einer schnöden Planeten-Schau bleibt es nicht. Deren „gesellschaftliche“ Stellung im Universum wird thematisiert, der Stand der wissenschaftlichen Forschung angerissen, Begriffe wie Meteor, Meteorit und Meteoroid anschaulich erklärt.

Und immer, wenn eine fachidiotische Info-Überforderung droht, macht die „schärfste Science-Boygroup der Milchstraße“, wie es erfrischend unbescheiden auf dem Hörbuch-Cover heißt, eine kleine Exkursion und erläutert Phänomene mit ganz irdischen Beispielen. Etwa, was in Wahrheit für den Knall bei der Popcorn-Herstellung sorgt. Warum Menschen, die normalerweise Tomatensaft wie Spülwasser verachten, ihn im Flugzeug aber gerne trinken. Oder, was es mit rechtsdrehendem Schnee auf sich hat.

Die Autoren werfen sich auf der Hörbuch-Version in ihren Dialog-Einschüben leichtfüßig die Bälle zu und offenbaren ein gut entwickeltes Rampensau-Gen. Mit Maria Hofstätter haben sie zudem eine glänzende Interpretin für den größten Part des Textes gefunden. Die österreichische Schauspielerin, manche werden sie aus dem Film „Hundstage“ kennen, liest „Das Universum ist eine Scheißgegend“ so fulminant, als hätte sie sich nie mit etwas anderem beschäftigt. Die österreichische Stimmfärbung verleiht der Produktion zusätzlich Charakter.

Nach der Tour durchs unwirtliche Universum gefällt ein Besuch im heimeligen Mikrokosmos von „Doctor Döblingers geschmackvollem Kasperletheater“. Die neueste Produktion von Richard Oehmann und Josef Parzefall, „Kasperl und die Tasse des Bösen“, beweist, dass das bairische Idiom zur Offenlegung des alltäglichen anarchischen Wahnsinns bestens geeignet ist. Der böse Zauberer Wurst – durch sein gestelztes Hochdeutsch klar als nicht zur rechtschaffenen Bevölkerung zugehörig gekennzeichnet – ist neidisch darauf, wie die Großmutter ihren Enkel Kasperl selbstlos umsorgt. Er verabreicht ihr einen Tee, der sie glauben macht, nicht Kasperl, sondern er wäre ihr Enkel.

Da Kasperl gerade Seppl einen „Lehrgang in Rotzlöffelei“ gibt – in der ersten Lektion ist „ordnungsgemäßer Vandalismus“ dran –, verpasst er beinahe, die Großmutter zu retten. Was sich für ihn nachteilig auswirken würde. Schließlich singt Zauberer Wurst nicht grundlos: „Wenn es mal im Haushalt hapert, hilft’s wenn man sich ne Oma kapert.“

Dass dieses Nutznießertum übertrieben zur Schau gestellt wird, fällt sogar Kindern auf, für die das Hörspiel laut Untertitel konzipiert ist. Doch auch die Anspielungen auf Migranten und Wutbürger, die durch verdrehte Lesarten die Pöbeleien der Rechten noch absurder erscheinen lassen, als sie ohnehin schon sind, generieren zusätzlichen Unterhaltungswert für erwachsene Hörer.

Auf dem beiliegenden liebevoll gestalteten Stadtplan von Hinterwieselharing wird der Schauplatz als „Weltkleinstadt mit Herz“ betitelt, eine Verhohnepipelung des Werbeslogans „München – Weltstadt mit Herz“. Das Hörspiel wird musikalisch untermalt von Tobias Webers Café Unterzucker, mit Micha Acher (u. a. The Notwist) an Sousaphon und Trompete. Die darstellerische Leistung des Duos Oehmann und Parzefall, die vier beziehungsweise fünf Figuren ihre charakteristischen Stempel aufdrücken, ist sensationell.

Werner Gruber, Heinz Oberhummer und Martin Puntigam aka ­Science Busters: „Das Universum ist eine Scheißgegend“. Der Hörverlag, gekürzte Lesung, 5 Stunden, 8 Minuten

Richard Oeh­mann und Josef Par­ze­fall: „Kasperl und die Tasse des Bösen“. Rec Star, 75 Minuten

Sherlock & Watson: „Das Rätsel von Musgrave Abbey“. DAV, 76 Minuten

Während Kasperl das Schlimmste noch abwenden kann, müssen „Sherlock und Watson“ bereits geschehene Verbrechen aufklären. Die neue, vom Audio Verlag selbst produzierte Hörspielreihe mit dem Untertitel „Neues aus der Baker Street“ verlegt – wie schon die britische TV-Serie „Sherlock“ (2010) – die Geschehnisse ins moderne London. Die schnöselige Selbstgefälligkeit Sherlock Holmes’ wird hier auf die Spitze getrieben und Sherlock-Sprecher Johann von Bülow zelebriert das genüsslich.

Im ersten Fall, „Das Rätsel von Musgrave Abbey“, darf Holmes eingangs bei einem Radiointerview seine Genialität beweisen, indem er die nervige Moderatorin brüskiert. Der messerscharfe Dialog wirkt allerdings abgelesen. Doch das ist wenige Augenblicke später vergessen, wenn das rasant produzierte Hörspiel an Fahrt aufnimmt. Watson fungiert dabei nicht als serviler Assistent, sondern als Erzähler, der via Blog und Chat das Geschehen weitertreibt.

Florian Lukas gibt einen Watson, den so schnell nichts aus der Fassung bringen kann. ­Unaufhörlich klimpern Tastaturen im Hintergrund, Signaltöne künden vom Erhalt einer SMS. Ein Handlungsstrang schlägt den Bogen zur IRA. Zunächst mutet eine Erläuterung der Ziele der Irischen Republikanischen Armee seltsam an, setzt aber jüngere Hörer unprätentiös in Kenntnis.

Dass am Ende das Rätsel von Musgrove Alley nicht umfassend gelöst wird, ist keineswegs störend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen