: Hell glühen im Schrott der Welt
Debüt Stefan Ferdinand Etgetons Roman: „Die Rucksackkometen“
Fiete und sein bester Kumpel Jan Spille haben „dieses seltsam unwohle gefühl in den beinen, das man nur durch bewegung wieder loswird“. Verständlich: Gerade hat Fiete seinen Doktor gemacht, doch an der Uni gammelt er nur rum, bis man ihn rauswirft. Deshalb stürzt sich Fiete mit Jan, durchaus in Jack Kerouacs Manier, on the road: Drogen, Sex, aber vor allem Poesie. Die beiden trampen allerdings nicht durch die USA und nach Mexiko, sondern von Osnabrück aus über den Balkan mit dem Fernziel Akropolis, Athen. 120 Euro blechen die Jungs, um das Pompeji der 80er zu besichtigen: Tschernobyl. Wirkliche Gammler sind die Jungs tatsächlich nicht: Auf ihrem Trip vögeln sie sich nicht bloß poetisch durch die Mädchenwelt Osteuropas, sondern schreiben auch für eine ungarische Zeitung, die sich mit Viktor Orbán anlegt.
Die episodenhaften Kapitel erinnern an Voltaires „Candide“. Auch hier trampt ein hoffnungsloser Optimist ja durch die halbe Welt und versucht trotz aller Scheiße sein Weltbild zu behaupten. Bei Fiete ist nicht bloß alles, frei nach Heraklit, im Fluss, sondern geht munter den Bach runter, doch „die welt war einfach zu schön, um sie mit ratio zu fluten“.
Bei all dem Schrott, den die beiden erleben, klingen dabei Passagen an, deren Feel-good-Pathos nur durch den Schnodder außenrum nicht zu kitschig gerät: wir „fühlten uns wie kometen, die gerade ineinander einschlagen, und dann glüht es erst mal ordentlich, und jeder weiß, was irgendwann folgt, aber solange wir noch glühen, schau ich in ihre tiefen augen und fall da hinein“.
Etgeton, Jahrgang 1988, der sich einen Namen gemacht hat als Performer, nicht zuletzt beim MDR-Literaturpreis letztes Jahr, hat ein Debüt geschrieben, das alle Lagen des Lichts beherrscht, vom zarten Morgendämmer bis zur Haudrauf-Supernova.
Stefan Hochgesand
Stefan Ferdinand Etgeton: „Die Rucksackkometen“. Beck Verlag, München 2015, 271 Seiten, 19,95 Euro
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