Ostkreuz-Ausstellung in Paris: Alle sind so wissend

Die Berliner Fotoagentur Ostkreuz feiert ihr 25-jähriges Jubiläum mit einer Schau in Paris. Fotografin Annette Hauschild war zum Zeitpunkt der Anschläge dort und berichtet.

Blumen für die Opfer in Paris

Blumen und Herzen für die Opfer von Paris, in Paris. Foto: ap

Die Galerie, in der wir ausgestellt haben, liegt im 11. Arrondissement. Das ist ein sehr gemischtes Viertel. In einer Straße gibt es viele afrikanische Friseurläden und Nagelstudios. Wir haben die Atmosphäre dort aufgesaugt, wir fanden gerade das Multikulturelle toll, spannender als Berlin. Ich war Dienstag angereist; einige Kollegen, die mit aufgebaut haben, waren schon vorher da.

Es war eigentlich eine lockere, gelöste, lustige Stimmung, als wir in Paris ankamen. Gut, es gibt ein paar Stressmomente, die man kurz vor der Eröffnung einer Ausstellung hat. Die Stadt hat uns total gut gefallen und zu unserer Stimmung gepasst.

Wir feiern gerade 25-jähriges Jubiläum mit unserer Fotoagentur Ostkreuz, und da die Agenturgründung damals in Paris beschlossen wurde, gibt es nun eine Ausstellung dort. Die Vernissage war am Donnerstag vor einer Woche, am 12. November. Es war fast wie ein Art Betriebsausflug für uns. Es sind ganz viele Leute mitgekommen, alle Fotografen und viele aus dem Büro, mehr als 20 Personen. Wenn die lange Zeit der Vorbereitung zu einem präsentationsfähigen Ende kommt, ist es am allerschönsten. Man erntet das, wofür man gearbeitet hat. Die Bilder sahen toll aus an der Wand. Zur Vernissage in der Galerie Passage du Désir kam die ganze deutsche und internationale Fotoszene, denn an dem Wochenende war die Messe Paris Photo. Nach der Eröffnung haben wir ’ne wilde Party gefeiert. Wir haben am Kanal gesessen, gar nicht so weit entfernt vom Bataclan.

Am Freitag waren wir dann alle in der Stadt unterwegs. Es war wahnsinnig schönes Wetter. Wir konnten draußen in den Cafés sitzen, das passte zu unserem Bild von Paris: Kaffee trinken, sich treffen, das Leben und das Essen genießen.

Am Abend waren wir in einem Restaurant im 11. Arrondissement. Wir waren eine kleine, gemischte Runde. Einige Ostkreuz-Fotografen darunter und auch die Journalistin Odile Benyahia-Kouider, eine Freundin von mir, die lange in Berlin gelebt hat und Korrespondentin der Libération war. Ich unterhielt mich mit ihr gerade über Charlie Hebdo. Ich habe sie gefragt, was das mit Paris und Frankreich gemacht hat. In dem Moment sagte mein Kollege Heinrich Völkel: „Irgendwas ist da los, hier kommt was übern Ticker“, er blickte auf sein Smartphone, „’ne Schießerei in der Nähe.“

Er sagte: „Lass uns mal in unser Appartement gehen.“ Unsere Unterkunft war nicht so weit entfernt von dem Restaurant. Ich war eher abwehrend, wollte noch bleiben. Mir war nicht bewusst, wie ernst es war. Eine Französin, die mit uns dort war, wurde immer nervöser. Irgendeiner erzählte etwas von dem Stadion. Niemand hat die Wörter Attentat oder Anschlag in den Mund genommen. Wir wurden dann aber aus dem Restaurant gedrängt. „Jetzt schnell bezahlen und dann alle raus“, sagten die Kellner. Die haben hinter uns die Rollläden runtergemacht.

Erst als wir in unserer Unterkunft waren, haben wir das Wort Terroranschlag zum ersten Mal gehört. Wir hatten ein kleines Souterrainappartement. Wir waren eigentlich gar nicht so zufrieden damit – es lag im Hinterhof, es kam kein Tageslicht rein. Wir haben im Appartement sofort das französische TV eingeschaltet. Odile war mit uns gekommen, um bei uns zu übernachten. Sie hat für uns übersetzt. Es war schnell klar, dass das ein Terroranschlag war.

Hubschrauber und Sirenen

Das Ausmaß wurde mir erst klar, als ich von Kollegen hörte, die in einem der attackierten Restaurants waren. Sie hatten dort auf dem Boden gelegen, sich unterm Tisch versteckt – und telefonisch einen anderen Kollegen gewarnt. Zum Glück ist denen nichts passiert. Mir wurde klar, wie nah das an uns dran ist. Dass es uns hätte treffen können. Dass wir ein Ziel sind. Dass wir zu Feinden erklärt werden.

Ich habe versucht, Odile zu beruhigen. Sie hatte Sorge, dass Freunde im Bataclan gewesen sein könnten. „Da gehen bestimmt keine Bekannten von dir auf das Metalkonzert“, aber das war natürlich Quatsch, es war ja nicht mal ein Metalkonzert. Odile hatte bei Charlie Hebdo schon Bekannte verloren. Für sie war das extrem nah. Ich weiß bis jetzt nicht, ob wieder Bekannte von ihr gestorben sind.

Die Berliner Fotoagentur Ostkreuz feiert in diesem Herbst 25-jähriges Bestehen. Da die Gründung der international renommierten Agentur 1990 in Paris beschlossen wurde, initiierte das Goethe-Institut Paris zwei Ausstellungen zum Jubiläum in der französischen Hauptstadt. Beide Schauen in der Galerie Passage du Désir und im Goethe-Institut laufen noch. Zahlreiche Ostkreuz-Fotografen, darunter Annette Hauschild, waren in Paris, als sich die Terrorattacken ereigneten. Alle blieben unverletzt. In Berlin ist vom kommenden Donnerstag an eine Ausstellung des Ostkreuz-Fotografen Harald Hauswald zu sehen (Aufnahmen 1978 bis 1989, Förderverein Stille Straße, www.stillestrasse.de).

Unsere Unterkunft, dieses blöde Kellerloch, wurde auf einmal ein Schutzraum. Ein guter Ort, um sich zu verstecken. Wir haben die ganze Zeit Hubschrauber und Sirenen gehört. Als Fotografin bin ich ja schon viel rumgereist, aber so bedroht habe ich mich noch nie gefühlt. Aber ich dachte eher, wir sind alle bedroht. Und viele andere sind direkt physisch betroffen.

Ich bin länger in Paris geblieben, als ich eigentlich wollte. Ich hatte das Gefühl, ich muss das dokumentieren. Unser Vermieter rief uns am Samstag an. Er sagte: „Geht nicht aus dem Haus, hier wird noch geschossen!“ Alle waren nervös.

Ich bin am Samstag trotzdem durch Paris gelaufen. Habe fotografiert. Rund um die Place de la République. Ich war noch nachts unterwegs. Ich hatte gar keine gute Ausrüstung dabei. Nur eine Kamera, eine Optik.

Es war ein anderes Gefühl auf den Straßen. Stiller. Man blickt sich an, alle sind so wissend. Wir hatten etwas Gemeinsames erlebt.

Das eine Foto zeigt die Tür des Le Carillon, einen der Anschlagsorte. Es befindet sich an einer Kreuzung, wo an zwei oder drei Ecken Restaurants sind. Da hatten sich viele Leute versammelt. Das ist so eine Hipsterecke. Wie Neukölln. Aber es sieht anders aus, die Gebäude haben was Traditionelles. Das Foto habe ich Samstagabend aufgenommen.

Das Bild, auf dem der Kellner zu sehen ist, zeigt eine Bar unmittelbar in der Gegend, in der unsere Unterkunft war. Es ist Samstagmittag aufgenommen. Alle haben Infos gesammelt, auf ihre Handys oder eben auf den Fernseher geguckt.

Ich bin am Sonntagmittag zurückgeflogen. Am Flughafen sah man viel Militär, nicht nur Polizei. Jetzt schlug das emotional erst durch bei mir. Ich habe übertrieben viele Geschenke für meine Kinder am Flughafen gekauft. Ich war einfach nur froh, dass wir leben, und irgendwie dankbar, so ganz schrecklich, blöd ... normalerweise gucke ich aufs Geld oder überlege, ob die Kinder wirklich was brauchen. Das war jetzt ganz egal. Ich hab fast geheult an der Kasse.

Protokoll: Jens Uthoff

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