piwik no script img

Ein Blutzoll

Eventfilm RTL arbeitet mit einem Spielfilm und einer Doku die Starfighter-Affäre auf (20.15 und 22.45 Uhr)

Pilot Harry (Steve Windolf) und Betti (Picco von Groote) Foto: Wolfgang Ennenbach/RTL

von Jens Müller

Flugzeugabsturz und trauernde Angehörige. Das war eine Woche nach dem abgestürzten Germanwings-Flieger kein passendes Thema. RTL verschob also den Film „Starfighter – Sie wollten den Himmel erobern“ auf heute Abend. Gerade diese Vorgeschichte der Ausstrahlung führt vor Augen, was die Starfighter-Affäre – aus heutiger Sicht – so schwer begreiflich macht.

Der Linienflug hat mit einem Schlag 150 Menschenleben gekostet. Die 116 Starfighter-Piloten der Bundeswehr sind – bei insgesamt 262 Abstürzen – zwischen 1962 und 1984 gestorben. In einem Zeitraum von über 20 Jahren hat es nur 1963 und 1983 keine Toten gegeben. Allein 1965 starben 17 Piloten. Die blanken Zahlen, die RTL zusammen mit den Namen der Piloten durch den Abspann laufen lässt, sind mindestens so beredt wie der ganze Film. Sie sind bereits das stärkste Indiz für die Richtigkeit der nur scheinbar banalen Erklärung, die der Spielfilm und die Dokumentation anbieten: Die regelmäßigen Toten waren ein politisch und gesellschaftlich akzeptierter „Blutzoll“, der im Kalten Krieg eben geleistet werden musste.

Es war eine andere Zeit, ein anderes Land. In bester „Eventfilm“-Tradition verwendet der Film einige Zeit und Mühe darauf, das Wirtschaftswunder-Zeitkolorit in Szene zu setzen. Rockmusik – die Piloten als Quasirockstars –, kürzer werdende Röcke, die erste Bulette im Brot, „Hamburger“ genannt. Bald darauf Grillfest in der Einfamilienhaus-Vorort-Siedlung, Idyll mit Käseigel. Die Todesfälle, die es schon gegeben hat, bedeuten in der kleinfamiliären bundesdeutschen Behaglichkeit nur eine Irritation.

„Der Spielfilm beruht auf realen Ereignissen, die genau so stattgefunden haben“, sagt Peter Kloeppel, der die „Moderation“ der Doku besorgt. Er betont: „genau so“. Dass der Film sich Freiheiten nimmt, etwa wenn es um die Liebesgeschichte zwischen Betti (Picco von Groote) und Harry (Steve Windolf) geht, versteht sich. Was aber ist damit gewonnen, einen Absturz von Norwegen nach Schweden zu verlegen? Und wie verträgt es sich mit „genau so“, wenn der reale Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel und seine Nachfolger – der verstorbene Helmut Schmidt inklusive – in einem fiktiven Minister Hermann Weltke (Rainer Bock) aufgehen? Der ein kalter zynischer Bürokrat ist, dem die Gefahr für den eigenen Sohn nur als willkommenes Propagandamaterial dient.

Tatsächlich war von Hassels Sohn einer der abgestürzten Piloten. Die Doku endet damit, dass Kloeppel dessen Witwe seine Rechercheergebnisse feierlich in gebundener Form überreicht. Seine Reise zu Witwen und Piloten ist trotz solcher emotionaler Übergriffigkeit sehenswert. Trifft er doch Gerlind Lantzberg, die sich als 21-jährige schwangere Witwe als Erste nicht mit der Erklärung „Pilotenfehler“ zufrieden gab; die an der militärischen Trauerzeremonie aus Protest nicht teilnahm; die die Klage gegen den Starfighter-Hersteller Lockheed in den USA initiierte. Es war eine andere Zeit, ein anderes Land – und das Vorbild der Filmheldin Betti eine echte Heldin.

Es war eine andere Zeit, ein anderes Land

Heldengeschichten bergen, wenn sie erzählt werden, die Gefahr einer allzu simplen Dramaturgie und Vorhersehbarkeit. Geradezu läppisch wird der Film von Kit Hopkins, Thilo Röscheisen (Buch) und Miguel Alexandre (Regie) dann, wenn sie wirklich die komplette Starfighter-Affäre in einen einzigen Kurzdialog zwischen Betti und ihrer besten Freundin Helga (Alice Dwyer) packen müssen:

Helga: „Moment mal. Die bestellen über 900 Jets von einem Flugzeug, von dem es bisher nur Prototypen gibt?“ – Betti: „Die bis dahin nur bei schönstem Sonnenschein in Arizona geflogen sind.“ – „Die wurden nie unter deutschen Wetterbedingungen getestet?“ – „Nee. Und was noch dazukommt, ist, dass die Starfighter eigentlich als Abfangjäger konzipiert wurden. Aber weil unser lieber Herr Verteidigungsminister sie unbedingt noch als Bomber und Aufklärer haben wollte, sind im laufenden Betrieb Tausende Umbauten gemacht worden. Die Piloten waren Versuchskaninchen!“

Auf der Habenseite kann der Film dann wieder einen Besetzungscoup verbuchen: Harrys bester Freund, Helgas Freund, wird gegeben von Frederick Lau. Sein loses Mundwerk ist spätestens seit „Victoria“ eine Marke.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen