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Der Instant-Komponist

LIVE Multinstrumentalist Alfred 23 Harth bewegt sich zwischen Jazz und freier Improvisation – heute spielt er in Berlin

Alfred 23 Harth beim Frankfurter Jazzfestival Foto: Jazzfestival Frankfurt

von Franziska Buhre

Wer in Frankfurt eine Posaune an die Lippen führt, löst beim geneigten Jazzpublikum unweigerlich eine Kette andächtiger Erinnerungen an ihn aus, den Übervater des Free Jazz hessischer Prägung, Albert Mangelsdorff. Der hatte dem zarten Pflänzchen des europäischen Jazz ab den 60er Jahren durch neue Spielweisen seines Instruments und sein kompromissloses Auftreten zu einer emanzipatorischen Blüte verholfen. Alfred 23 Harth – statt eines Künstlernamens setzte dieser sich eine Künstlerzahl zwischen Vor- und Nachnamen – nimmt die Posaune so selbstverständlich zur Hand wie alle anderen akustischen und elektronischen Instrumente, mit denen er auf der Bühne des Frankfurter Jazzfestivals Ende Oktober frei improvisiert.

Klarinette statt elektrischer Eisenbahn

Das Konzert mit seinem Quartett Hope ist, wenngleich kein Heimspiel, so doch ein Spiel in seiner Heimatstadt, die Harth mehrmals im Jahr von seiner Wahlheimat Südkorea aus besucht. Als in Frankfurt eine Reihe Veranstalter, Musiker und Fans eifrig an der bis heute keinen Widerspruch duldenden Legende von der Jazzhauptstadt Deutschlands strickten, kam Harth, Jahrgang 1949, erstmals mit Jazz in Berührung, und zwar im Familienkreis.

Er ist das jüngste von sechs Kindern, seine Schwestern hören Rock’n’ Roll, zwei der Schwager spielen Evergreens in Jazzmanier auf dem Klavier. Mit acht Jahren hat er Blockflötenunterricht, als 13-Jähriger verkauft er seine elektrische Eisenbahn, um eine Klarinette zu erwerben, erst mal aus Kunststoff. Die Eltern schenken ihm Aufnahmen von Charlie Parker, die ihn begeistern.

In seiner Nachbarschaft wohnt ein „Stadtpfeiffer“ – so nennt er einen Rundum-Musikanten, den er während des Telefoninterviews erwähnt. Der bleiche Mann mit dem großen schwarzen Hut spielt Schlagzeug, Saxofon und Cello zum Tanz, auf Kreuzfahrtschiffen, zu Stummfilmen. Bei ihm lernt Harth Tonleitern, Polka und Stücke von Mozart. Etwa zur gleichen Zeit wird er auf die Arbeiten von Nam June Paik in Wiesbaden aufmerksam, die seinen Willen bestärken, künftig zwischen Kunst und Musik nicht zu trennen, sondern interdisziplinär zu arbeiten.

Ein Workshop bei Carlo Bohländer, dem Mitgründer des weithin bekannten Frankfurter Jazzkellers und Verfasser der einschlägigen „Jazz-Harmonielehre“, bleibt Harth nachhaltig im Gedächtnis: „Ich habe ein Solo gespielt über den Song ‚Careless Love‘, und er begleitete mich am Klavier. Wann immer ich einen falschen Ton spielte, schüttelte er den Kopf, da habe ich immer furchtbar Angst gekriegt“, erzählt Harth und lacht.

Anders als Bohländer geben die Platzhirsche rund um Albert Mangelsdorff ihr Wissen nicht an jüngere Musiker weiter. Weder ihren frühen Ansatz, amerikanische Spielweisen zu imitieren, noch die Tendenz des sogenannten Kaputtspielens von Jazz durch autodidaktisch behaupteten Saxofonlärm wie etwa von Peter Brötzmann, sagen Harth vollkommen zu. So gründet er 1967 das Ensemble Just Music, um freie Improvisation und europäische Neue Musik miteinander zu verbinden. Ein Jahr später tritt er zum ersten Mal in Westberlin im Zodiac Club auf, der deutschlandweit ersten Adresse für experimentelle Musik.

Dort ist auch Wolfgang Seidel regelmäßig zu Gast, Schlagzeuger der ersten Stunde von Ton Steine Scherben. Mit dessen Gruppe Populäre Mechanik spielt Harth 1986 zur Eröffnung einer Ausstellung seiner künstlerischen Papierarbeiten in der Berliner Galerie a.vant. Fragmente der Aufnahmen von diesem Konzert verwendet er auf seinem Album „Sweet Paris“ von 1991. Seit seinem Wegzug nach Südkorea im Jahr 2001 halten er und Seidel den Kontakt. Über den regelmäßigen Austausch von Musikdateien entstand die Idee eines gemeinsamen Albums. Harth komponiert aus Seidels Aufnahmen, eigenen Einspielungen und Bearbeitungen schließlich die acht Stücke von „Five Eyes“, das in diesem Jahr auf Moloko Plus Records erschienen ist.

Harths heutiges Konzert in Berlin ist eine Premiere: Mit dabei ist der japanische Gitarrist und Daxophon-Spieler Kazuhisa Uchihashi aus der Band Hope. Schlagzeuger Fabrizio Spera ist Mitglied in Harths Band 7k Oaks und reist eigens aus Rom an, der australische Bassist Clayton Thomas hält sich dank seiner Mitwirkung im Splitter Orchester derzeit in Berlin auf. Natürlich wird frei improvisiert, doch Harth ergänzt: „Ich begreife mich als jemanden, der auf der Bühne instant komponiert. Ich bin nicht ‚nur‘ein Saxofonist, der seine akrobatischen Kenntnisse und Fertigkeiten abzieht, ich spiele das Saxofon als orchestrales Element.“

Alfred 23 Harth Berlin Quartett live, heute, 20.30 Uhr, Aufsturz, Oranienburger Straße 6

Alfred 23 Harth/Wolgang Seidel: „Five Eyes“ (Moloko Plus)

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