Berlinmusik

Weglassen als Kunst

Achim Kaufmann als „Berliner“ Musiker zu bezeichnen ist beinahe eine Beleidigung. Denn der Pianist, der seit 2009 in Berlin lebt, gehört ohne Übertreibung zu den größten Musikern Europas. Einer, der in unterschiedlichsten Idiomen zu Hause ist, der frei-anarchisches Spiel genauso beherrscht wie filigran strukturierte Kompositionen. Der aus Popsongs oder aus vertrauten Standards von Duke Ellington neuen, aufregenden Jazz machen kann.

Achim Kaufmann ist bei all seinem Können kein Angeber. Das zeigt er auf seinem jüngsten Album, „Later“, mit fast schon irritierend souveräner Geste. Er nutzt seine eigenen Stücke, knapp die Hälfte des Materials, nie zum frei drehenden Tastenschinden, sondern geht den umgekehrten Weg. Seine Virtuosität besteht im Weglassen, in den Pausen, die er nutzt, um seine Töne so aufzulockern, dass er ihnen Luft zum Atmen lässt und ihnen zugleich elektrisierende Spannung verleiht.

All das tut Kaufmann ohne die helfenden Hände musikalischer Mitstreiter. Die Gefahr, der man sich solo aussetzt, wo jeder einzelne Ton deutlich mehr zählt, scheint ihn zusätzlich gereizt zu haben: dass man sich, so ganz allein am Klavier, besonders verwundbar macht, besonders leicht scheitern kann.

Doch mit dem Scheitern wird das nichts. Achim Kaufmann meistert seine Stücke unerschrocken, mit Freude am Entdecken und immer neuen Ideen zum Gestalten des Klangs. „Čuk“ etwa beginnt mit glockenartigen, hohen Akkorden, sein „Blue-Brailled“ erinnert mehr an die verschwimmenden Tonwolken des Impressionismus als an Blues. Aus diesem flächigen Spiel kann man ein wenig seinen Lehrer, den zu Unrecht jenseits des großen Rampenlichts wirkenden Pianisten Rainer Brüninghaus, heraushören.

Kaufmanns Bearbeitungen von Thelonious Monk, Bob Dylan oder Syd Barrett bleiben den Originalen verpflichtet, setzen aber diskrete Akzente. So nimmt er Monks „Misterioso“ noch kantiger als Monk selbst. Und Dylans „It’s All Over Now, Baby Blue“ bekommt ein paar harmonische Wendungen extra hinzu. Man kann sich freuen, einen solchen Künstler in der Stadt zu haben, die nicht umsonst seit einigen Jahren als Musikweltstadt gilt. Musiker wie Achim Kaufmann helfen, diesen Ruf zu festigen. Für diese Verdienste gibt es nun auch eine wohlverdiente Belohnung: Am Freitag bekommt Kaufmann den Albert-Mangelsdorff-Preis verliehen. Tim Caspar Boehme

Achim Kaufmann: „Later“ (Pirouet); live 6. 11., Haus der Berliner Festspiele