Maschinenraum an Regenwald

Klangforschung Die musikalischen Seltsamkeiten von Volcano the Bear: Ein Konzert mit Luftballons im Acud und 5 LPs Deluxe

Der Pop in seiner großen Güte bringt immer wieder Bands hervor, die in hingebungsvoller Eigenbrötlerei so eine versponnene und wunderliche Musik machen – als ob sie sich gar nicht bewusst wären, dass es da auch die Hitparaden und sonstigen Vermessungsmaßstäbe von Pop gibt. So eine Band sind Volcano the Bear aus dem englischen Leicester, bei denen man den Pop allerdings sehr großherzig und weit in den ge­räusch­musikalischen Bereich hinein erweitern muss, um sie wirklich zu fassen zu bekommen.

In Ermangelung griffigerer Bezeichnungen nennt man das gern Experimentalmusik. Jedenfalls ist diese Band entschieden was für Liebhaber, ihre Fans füttert sie mit haufenweise Kassetten, CDs und Schallplatten, alles natürlich in Winzauflagen, weil der Markt für eine so krude Musik im Pop doch einigermaßen überschaubar ist.

Jetzt erscheint mit „Commencing“ eine Box mit fünf LPs in einer Deluxe-Einrichtung, mit Buch, Artwork und sonstigem Drumherum zur nunmehr zwanzigjährigen Bandgeschichte von Volcano the Bear. Genug Material, um sich auch wirklich satt zu hören an dieser seltsamen Musik, die mal ein trollartiger Folk sein kann, der sich, haste nicht gehört, in eine tribalistische Maschinenraummusik zu verzaubern weiß, und gleich mit dem nächsten Stück steht man schon wieder in einem musikalischen Regenwald. Also schon die Hörer herausfordernde Wildheiten und Klangcollagen, manchmal Freejazz, manchmal improvisatorische Erkundungen von Geräuschen.

Man muss also auch die Hörer verstehen, die einigermaßen entnervt aufgeben bei diesem Geklöppel.

Spieltrieb, keine Kinderei

Am Dienstag gab es ein Konzert im Acud zum Erscheinen der 5-LP-Box – das zeigte gleich an, dass Volcano the Bear stets Experiment heißt, Austausch und Erweiterung. Denn die Band stand gar nicht selbst auf der Bühne, sondern Volcano-the-­Bear-Musiker Aaron Moore betrieb mit dem norwegischen Musiker Erik Skodvin, auf dessen Miasmah-Label die „Commencing“-Box erscheint, die Klangforschung stellvertretend. Zuerst testeten die beiden dabei ausgiebig die musikalischen Qualitäten von Luftballons. Mit denen man eine Menge machen kann, auch ganz zart und sanft Schlagzeug spielen zum Beispiel. Schön zeigte sich der spieltriebige Ansatz dieses Musikmachens, das aber eben keine Kinderei ist. Kein Jux. Andere Instrumente wie eine mit dem Geigenbogen traktierte Gitarre kamen dazu, und unter weitgehender Vermeidung von Melodie, trotzdem immer auf Geschmeidigkeit achtend bei dieser Geräuschverdichtung, skizzierten die zwei eine konzentrierte, klar strukturierte und in der Dramaturgie raffiniert inszenierte Lektion in Echtzeitmusik.

Nach der Pause kam für diese improvisatorische Ge­räusch­musik­erkundung die ­Musikerin Silvia Kastel dazu. Um einiges klangmeditativer ließ sich der zweite Set an, mit geradezu buddhistischer Gelassenheit, mit der die schwebenden Töne ins Nirwana begleitet wurden.

Man musste sich darauf einlassen. Der Musik die Zeit gönnen. Um dann doch von einem Sog erfasst zu werden, der in seiner wilden Schönheit aus der Ferne an den psychedelischen Raga-Folk der Third Ear Band erinnerte, die damals, Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger, so ein versponnenes musi­kalisches Wunder im Pop war. In dem großherzigen, für Experimente offenen Pop.

Thomas Mauch