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„Weniger Rumgekonke“ mit dem neuen DJV-Chef Frank Überall Foto: F.: ddp

Praktiker von vorderster Front

Die Mitgliederzahlen im Sinkflug, die Branche unter „Lügenpresse“-Verruf, die Wahl begleitet von Pannen: Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat Frank Überall unter widrigen Umständen zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Allein die Abstimmung: Sie klappte erst im zweiten Anlauf. Die Idee, ein moderner DJV könnte seinen neuen Chef doch auch mit moderner Technik wählen, scheiterte. Auf die Wahl-Computer im Kongresshotel in Fulda war kein Verlass, am Ende mussten die Delegierten zu Stift und Papier greifen.

Überall, 44, dürfte dem DJV mit seinen verbliebenen 36.000 Mitgliedern guttun. Anders als viele vor ihm kommt er unmittelbar aus der Praxis: Im Oktober hat er noch für den ARD-Hörfunk über die Messer­attacke auf die Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin berichtet. Auch auf Spiegel Online und in der taz ist Überall seit Jahren aktiv. Er kennt die Probleme an der journalistischen Front aus eigenem, noch frischem Erleben und nicht nur aus Studien und theoretischer Lektüre.

Damit setzt der DJV ein Signal: Der neue Vorsitzender ist freier Journalist, der sich stets unter vielen behaupten musste. Die Chancen stehen gut, dass er diese wachsende Gruppe stärker im Blick hat als seine Vorgänger, wie zuletzt Michael Konken, der die Jahre vor seiner Wahl in PR und Wissenschaft gearbeitet hatte. Erste Freischreiber, die vor einigen Jahren aus Frust eine parallele Interessenvertretung zum DJV gestartet haben, jubilierten bereits: „Auf weniger Rumgekonke!“

Der Kölner Überall setzte sich auf dem Bundesverbandstag der Gewerkschaft mit 130 zu 118 Stimmen gegen Alexander Fritsch durch. Fritsch leitet im föderalen DJV derzeit den Journalistenverband Berlin-Brandenburg, will diesen Posten aber nun aufgeben.

Überall will sich gerade in der anhaltenden Krisenstimmung des Journalismus für die „anständige Bezahlung und ordentliche Arbeitsbedingungen“ von JournalistInnen engagieren und „gegenüber der Politik deutlich“ die Stimme erheben. Das alles sind keine ungewöhnlichen Parolen, in schwierigen Zeiten aber mindestens Herausforderungen. Gerade erst hat etwa der Tagesspiegel bekannt gegeben, bis zum Jahresende den Großteil seiner freien Mitarbeiter schlicht gar nicht mehr zu beschäftigen – Unternehmen buchten zu wenig Anzeigen, da müsse gespart werden.

Bekannt ist von Überall, dass er einen anderen Kommunikationsstil pflegen will als sein Vorgänger, der meist omnipräsent war, und wenn nicht er selbst, dann zumindest sein Sprecher. Stattdessen sollen die Experten des DJV häufiger zu Wort kommen. Das heißt gleichzeitig auch: Er selbst würde damit auf Präsenz verzichten. DANIEL BOUHS