: Ausdauernde Aufholjäger
BASEBALL Die Kansas City Royals gewinnen die World Series mit 4:1-Siegen gegen die New York Mets, weil in dieser Mannschaft jeden Tag ein anderer den Helden spielt. Aus dem Überraschungsteam der Vorsaison ist eine selbstbewusste Einheit geworden
Von Thomas Winkler
Irgendwann steht dann halt auch Christian Colón am Schlag. Das fünfte Spiel der World Series war in der Verlängerung, der entscheidende Run keine dreißig Meter mehr von der Homebase entfernt, die 45.000 im Stadion fast andächtig still. Und dann ausgerechnet Colón, der seit vier Wochen nicht mehr gespielt hatte. Der zum ersten Mal überhaupt in einem Spiel von solcher Bedeutung stand. 26 Jahre alt, in Puerto Rico geboren, früher einmal ein Talent mit großen Hoffnungen, heute ein Durchschnittsprofi, der Typ vom Ende der Bank, den man einwechselt, wenn sonst nichts mehr geht. Der Unwahrscheinlichste der Unwahrscheinlichen stand nun also da, den Baseballschläger in der Hand, und konnte das ganze Ding gewinnen. Zum Helden werden.
Ein Kindheitstraum, der doch tatsächlich in Erfüllung ging. Colón traf den Ball und brachte den Run nach Hause, mit dem die Kansas City Royals im zwölften Inning die Führung übernahmen, die sie nicht mehr abgeben sollten. 7:2 stand es schließlich, die Royals hatten die World Series mit 4:1-Siegen gegen die New York Mets gewonnen, und dann tanzten sie ausgelassen in einer riesigen Traube aus Spielern und Trainern, verspritzten Sekt und stammelten in Mikrofone. „Das ist einfach verrückt“, sagte etwa der unwahrscheinliche Colón.
Doch eigentlich war Colón kein Held, sondern nur das letzte Puzzlestück einer kompletten Mannschaft. Dass Colón den entscheidenden Hit beisteuerte, war zwar extrem unwahrscheinlich, aber eben auch typisch. Stars hat das Team nicht, das insgesamt nur knapp 114 Millionen Dollar verdient: Reichere Klubs der Major League Baseball (MLB) geben fast das Dreifache für Gehälter aus.
Dafür darf in dieser Mannschaft jeden Tag ein anderer den Helden spielen. Mal ist es Chris Young, ein Pitcher mit der Mimik und Ausstrahlung eines Buchhalters, der im wichtigen ersten Spiel, das ebenfalls in die Verlängerung ging und sogar zum längsten in der World-Series-Geschichte werden sollte, nach Mitternacht auf den Wurfhügel schlich, um den Sieg nach Hause zu bringen. Oder es ist ein Edinson Volquez, der während des ersten Spiels vom Tod seines Vaters erfuhr, zur Beerdigung nach Hause in die Dominikanische Republik flog und pünktlich zum fünften Spiel wieder auf dem Feld stand, die Initialen von Papa in den Sand malte und die Royals sechs Innings lang im Spiel hielt.
Statt auf Stars zu setzen, bauen die Royals auf Zusammenhalt, solide Verteidigung und vor allem auf Beharrlichkeit. Die wichtigen Punkte holt diese Mannschaft nicht mit gewaltigen Homeruns, sondern mit einer gestohlenen Base, einem halb verunglückten Schlag und einem wilden, verzweifelten Lauf. Sie holt sie vor allem regelmäßig in letzter Minute. „Wir sind die Comeback-Kids, wir geben niemals auf, wir kämpfen bis zum Ende“, freute sich Outfielder Lorenzo Cain nach dem großen Triumph.
Tatsächlich hatten die Royals bei allen vier Erfolgen in der Finalserie einmal zurückgelegen. Start-Ziel-Siege sind ihnen zu langweilig. Auch beim finalen Erfolg gelang der Ausgleich erst im letzten Inning der regulären Spielzeit, als Matt Harvey, der Star-Pitcher der Mets, doch endlich müde wurde. „Ich hatte nie das Gefühl, wir könnten verlieren“, sagte Manager Ned Yost, „diese Mannschaft scheint immer einen Weg zum Sieg zu finden. Irgendeinen.“
Mit solchen Aufholjagden hatten es die Royals schon im vergangenen Jahr, damals noch sensationell, in die World Series geschafft, aber denkbar knapp in sieben Spielen gegen die San Francisco Giants verloren. Aus dem Überraschungsteam ist eine selbstbewusste Mannschaft geworden, die verdient den ersten Titel seit 1985 nach Kansas City geholt hat. Und zwar nicht nur den ersten Baseball-Titel, sondern den ersten Titel in irgendeiner der großen Sportarten überhaupt seit drei Jahrzehnten. „Das war unsere Mission. Wir wollten das vergangene Jahr vergessen machen“, sagte David Glass, der Besitzer der Royals, und meinte auch die vielen vergeblichen Jahre davor. „Mission erfüllt.“
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