Wie mit einem winzigen ZweiBuchstabenWort Ressentiments gegen Flüchtlinge bestärkt werden
: Mit So beginnt alles Übel

Foto: privat

Eben

von Doris Akrap

Wenn und aber gelten als klein, aber oho. („Wenn weiter so viel Flüchtlinge kommen, dann …“, „Ich hab nichts gegen das Asylrecht, aber …“). Dabei gibt es im Deutschen ein noch viel kleineres Wörtchen, um das kaum oho gemacht wird, dass diese Behandlung aber dringend bräuchte. Das So. Von alters her mit unbefristeter Aufenthaltsgenehmigung für die deutsche Sprache ausgestattet, hat es dieses kleine Graue unter den kleinen Schwarzen zu einem unumstrittenen Status gebracht, von dem die Wenns und Abers nur noch träumen können.

Und das, obwohl es derart rumkommt, dass die schwindende europäische Freizügigkeit klaustrophobisch wirkt. So ist das Wort der Stunde. Es wird in der Grammatik als Funktionswort geführt. Und auch der Politik dient es als solches. Es erfüllt die Funktion, das als diffuse Angst beschriebene Ressentiment gegen Flüchtlinge zu bestärken.

Ohne Geschlecht und Geschichte führt das So ein Leben wie ein unauffälliger Staubfänger. Es ist einfallsloses Adverb, faule Kon- und Subjunktion, dahergelaufene Interjektion und oberflächliches Intensitätspartikel. Seine Rolle als subtiles Propagandainstrument erfüllt es immer dann, wenn es wie beiläufig Nebulöses, Spekulatives, Uneindeutiges ausdrückt. Schon in vermeintlich naiven Begrüßungsfragen wie „Und du so?“ schimmert seine subversive Kraft. So kann alles sein.

Doch damit sollte Schluss sein. Das So sollte ab sofort in die Liste der gefährlichsten Wörter der Welt aufgenommen werden. Fotze, KZ oder Kohlenhydrate sind ein Witz dagegen. Diese und andere geschäftsüblichen Aufreger können längst nicht mehr ungestört ihr Unwesen treiben. Wer hingegen „so“ sagt, darf dies unhinterfragt tun und ist noch lange nicht am Ende.

Mit dem So beginnt alles Übel. Mit dem So wurde der Holocaust eingeleitet: „So weit also ist es in Europa schon gekommen, daß man eine Gefahr nicht mehr eine Gefahr nennen darf, wenn sie eben vom Judentum ausgeht“ (Sportpalast, 18. 2. 1943, Joseph Goebbels). Dass das So gerne „generell-hypothetische Verbindungen“ eingeht, darauf haben die Grimms in ihrem Wörterbuch schon hingewiesen.

Geht es um Flüchtlingspolitik, ist „So geht es nicht mehr“ und „So kann es nicht mehr weitergehen“, was zuletzt der Passauer Landrat bei Jauch als zentrale Aussage zehnmal wiederholte, die populistische Meinung zur Lage der Nation.

Auf die Nachfrage, was genau mit So gemeint ist, werden Zahlen genannt, die aus hypothetischen Verbindungen wie die des Passauer Landrats bestehen, der x plus x mit x multipliziert und damit auf surreale 10 Millionen Flüchtlinge in Deutschland kommt. Mit „So kann es nicht weitergehen“ meinen Politiker gerade nicht die Situation, dass Flüchtlinge mit Baseballschlägern und Böllern angegriffen werden.

Mit „So kann es nicht weitergehen“ meinen Regierende nicht, dass sie sich mehr darum kümmern müssten, wie und wo Flüchtlinge untergebracht und versorgt werden. Wenn die SPD in den nächsten Tagen Sodele sagen wird, dann wissen wir allerdings, dass es mit dem rechten Populismus so weitergehen wird.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch

Anja Maier

Zumutung

Donnerstag

Ippolito & Wrusch

Schwul und Schwuler

Freitag

Heiko Werning

Tier und wir

Montag

Barbara Dribbusch

Später

Dienstag

Sonja Vogel

German Angst