: Besuch aus einer vermoosten Zukunft
AUSSTELLUNG Raumschiffe aus Holz und Räume, die schwindelig machen: Jesper Dalgaard in der Kieler Stadtgalerie
Wenn eine so etablierte wie mutige Kunstinstitution ihre Räumlichkeiten über Monate einem einzelnen Künstler zur Verfügung stellt, muss sie dafür gute Gründe haben. Die Kieler Stadtgalerie zum Beispiel zeigt bis weit ins kommende Frühjahr hinein Arbeiten von Jesper Dalgaard. Der, Däne, Jahrgang 1974, ist in der Kunstlandschaft noch kein wirklich großer Name, hierzulande ist es seine erste Einzelausstellung.
Die noch dazu recht martialisch überschrieben ist: „Ja zum Wachstum, Nein zum Stillstand, denn wir kennen nur den Fortschritt“. Das klingt nach Anklage mit ironischer Untertitelung, nach einer vielleicht radikalen Abrechnung mit unserem Wirtschaftssystem, das eines Tages untergehen werde ob seines Expansionsdranges.
Umso mehr irritieren die schwebenden Objekte, auf die man bereits im Eingangsbereich stößt: Ist das ein Baumstamm? Oder ein verkapptes, irgendwie organisches Raumschiff? Sollen in diesem seltsam primitiven, schwebenden Holzkubus eines Tages Menschen leben? Dazu fährt ein seltsames Hybrid aus Ausflugsschiff und Schwebefähre an einem vorbei, oben an der Decke sind seine Schienen verankert, aber niemand sitzt in dem – Ding.
Die dabei benutzten Materialien wollen zunächst so gar nicht passen zu dem programmatischen Impetus von Zukunftsskepsis und angst: simple Holzstöckchen, Alupapierschnipsel, Band, Sand, Modellbaugras.
Mitten drin dann plötzlich ein Objekt, das betreten werden kann, was man aber wissen muss, so merkwürdig wie es von außen durch tapetenartige Bilder oder Muster verziert ist. Dann also steht man in einem seltsamen von oben bis unten getäfelten Raum, mit einem leisen Schmatzen schließt sich die Tür hinter einem. Eine begehbare Intarsienarbeit! Ein Klangraum, der einen einhüllt mit angenehm sphärischer Elektromusik, während das Licht beständig wechselt und man zusieht, wie der Tag anbricht und endet.
Ein wenig wie aus einem Cockpit – und da sind sie dann auch wieder: Dalgaards Wohn oder Flug oder Zufluchtsobjekte, die aus der Unergründlichkeit des Weltraums auf einen zufliegen, inzwischen schon wie alte Bekannte. Aber es ist auch gut, dass es eine Art Notrufknopf gibt, sollte man den Türöffner nicht schnell genug finden, denn in dieser eben noch behaglichen, plötzlich beklemmenden Enge kann es einem genauso gut schwindelig werden.
Wieder draußen, wieder unterwegs zwischen den fast organischen Objekten aus einer – vielleicht – möglichen Zukunft, die immer zuerst die Vorstellung einer solchen ist, löst sich plötzlich etwas: die starre Erwartungshaltung an Werk, Bedeutung und Aussage – das also kann dieser Jesper Dalgaard. Einen verwirren, auch ein wenig ärgern und dann wieder zum Grinsen bringen. Und sein ruckelndes Gefährt wird an einem vorbei ziehen und dazu einladen, einzusteigen, wenigstens gedanklich.
Liegt die Stadtgalerie nun richtig damit, dem jungen Dalgaard so viel Raum zu gewähren? „Ich finde es schön“, schreibt ein gewisser Emil im ausliegenden Gästebuch, seiner Schrift nach ein Grundschüler – „schön, aber rätselhaft“. FRANK KEIL
„The Universe of Jesper Dalgaard“: bis 1. April, Kiel, Stadtgalerie