: „Mein Vater war ein schöner Mann“
KINO „Gibsy“ erzählt das Leben des von den Nazis ermordeten Boxers und Sinto Johann Rukeli Trollmann. Seine Tochter Rita Vowe durfte als Kind gar nicht wissen, wer ihr Vater war. Heute hat der Film Premiere
■ Geboren ist sie in Wilmersdorf und heute lebt die 77-jährige Tochter von Rukeli Trollmann in Kreuzberg.
INTERVIEW ALKE WIERTH
taz: Frau Vowe, wie gefällt Ihnen Hannes Wegener in der Rolle Ihres Vaters Rukeli Trollmann?
Rita Vowe: Der Hannes gefällt mir sehr gut in der Rolle. Ihm wurde dafür extra eine Dauerwelle gemacht. Mein Vater hatte ja so schöne weiche Locken.
Wie haben Sie sich denn Ihr Bild von Ihrem Vater gemacht? Sie haben ihn ja nie bewusst kennengelernt.
Nachdem ich erfahren hatte, dass mein Vater ein Sinto war, habe ich ihn mir natürlich dunkel vorgestellt. Damals wurde mir auch klar, warum ich selbst so dunkel war, Haut, Haare. Aber ich habe erst später erfahren, wie schön mein Vater war. Er war ein sehr schöner Mann. Heute ist meine Wohnung voller Bilder von ihm. Eins liebe ich besonders. Es ist, als ob ich mich an seine Augen auf dem Foto aus frühester Kindheit erinnern kann. Das nenne ich mein Knutschbild.
Sie wussten als Kind lange nicht, wer Ihr Vater war – wann haben Sie es erfahren?
Als ich so 14, 15 Jahre alt war, 1950, hat mich meine Tante aufgeklärt. Meine Mutter wollte mir nie etwas über meinen Vater sagen. Sie hat immer alle Fragen abgewehrt.
Wie war das für Sie, als Sie die Wahrheit erfuhren?
Das war erst mal ein Schock – auch deshalb, weil ich als Kind immer gedacht hatte: Irgendwann kommt mein Papa doch noch und holt mich. Aber ich habe damals von meiner Tante ja auch erfahren, dass er tot war, von den Nazis im KZ umgebracht.
Ihre Eltern hatten sich 1938 – dreieinhalb Jahre nach Ihrer Geburt – scheiden lassen, weil Ihr Vater Sie und Ihre Mutter vor dem Nazivorwurf der „Rassenschande“ retten wollte.
Er hatte sich scheiden lassen, um uns zu schützen. Und in den ersten Jahren danach, als ich ein Kleinkind war, hat meine Mutter mich versteckt. Aber irgendwann musste ich ja zur Schule. Das war ein Spießrutenlaufen für mich mit meiner dunklen Haut, in der Nazizeit. Da durfte es ja nur Blonde geben.
Kontakt zur Familie Trollmann haben Sie aber erst viel später bekommen.
Ja, weil ich in Berlin war, und diejenigen von der Familie meines Vaters, die die Nazis überlebt hatten, waren in Westdeutschland. Sie haben irgendwann nach mir gesucht. Und standen vor einigen Jahren dann vor meiner Tür.
Haben Sie nie gesucht?
Wissen Sie, auch nach den Nazis galten die damals noch so genannten Zigeuner vielen als Lumpenpack und Dreck. Ich habe das unter dem Scheffel gehalten, dass mein Vater Sinto war. Aber irgendwann habe ich Leute getroffen, die meinen Vater kannten, aus seiner Zeit als Boxer in Berlin. Dann habe ich irgendwann angefangen nachzudenken. Und auch stolz zu sein. Und heute habe ich ja alle Gründe dieser Welt, stolz auf meinen Vater zu sein.
Durch das von den Nazis begangene Unrecht haben Sie viel Leid erlebt. Trotzdem bekommen Sie erst seit zwei Jahren eine Opferrente. Warum?
Ich habe vorher keine beantragt. Ich wollte kein Geld dafür bekommen, dass mein Vater totgeprügelt worden war. Erst als ich Kontakt zu seiner, meiner Familie bekommen habe, haben die mich überredet, doch einen Antrag zu stellen.
Waren Ihnen die Verwandten, die Sie seit ein paar Jahren haben, fremd? Sie sind ja nicht mit Sinti-Kultur aufgewachsen, sprechen kein Romanes.
■ Der Boxer Johann Rukeli Trollmann tänzelte im Ring schon so wie später erst wieder Muhammad Ali. Im Juni 1933 gewann er im Kampf gegen Adolf Witt die deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht. Der Titel wurde ihm aber von den Sportfunktionären der Nazis nicht zuerkannt. Seinen nächsten Kampf bestritt der Sinto mit weiß gepuderter Haut und blondierten Haaren. 1944 erschlugen die Nazis Rukeli Trollmann in einem brandenburgischen Außenlager des niedersächsischen Konzentrationslagers Neuengamme.
■ In dem Dokudrama „Gibsy“ des Regisseurs Eike Besuden („Verrückt nach Paris“) über das Leben des Boxers spielt ihn Hannes Wegener und Hannelore Elsner dessen Mutter Friedericke. Premiere des Films ist am heutigen Dienstag um 19 Uhr im Moviemento, Kottbusser Damm 22, in Anwesenheit der Macher und der Tochter des Boxers, Rita Vowe. Ab Donnerstag ist der Film im Moviemento und Kino Zukunft am Ostkreuz zu sehen.
Die Familie ist sehr modern und aufgeschlossen. Auch die Jüngeren sprechen oft kein Romanes mehr. Sie wollen sich anpassen, nicht auffallen.
Boxt eigentlich noch jemand in der Familie Trollmann?
Ja. Aber nur noch als Hobby.
Heute wirken Sie glücklich.
Ja. Ich habe jetzt eine große Familie. Nur die Arthrose ist hinderlich.
Für unsere Fotos haben Sie sich trotzdem viele Treppen hinauf- und herunterbewegt.
Ja, und das tue ich gern. Für Papa tue ich alles.