: Verklemmtheit in Ultrahochauflösung
FAZIT Das Programm des Pornfilmfestivals im Moviemento-Kino war durchwachsen. Vielen heterosexuellen Werken fehlte der inszenatorische Mut, künstlerisch Wertvolles gab es vor allem in der Retrospektive zu sehen
von Manuel Schubert
Wie steht es um den heterosexuellen Porno in Deutschland im Jahr 2015? Die Antwort auf diese Frage fällt kurz aus: schlecht. Jedenfalls konnte man diesen Eindruck auf dem 10. Pornfilmfestival Berlin gewinnen, das am Sonntag im Kreuzberger Kino Moviemento zu Ende ging.
Einer der Sponsoren des Festivals, eine Onlinepornokanal, ließ Kinowerbung abspielen, die für das Ultra-HD-Angebot der Firma warb. Gesetzt den Fall, man hat das entsprechende Abspielgerät zu Hause, kann man sich die Muschi seiner Lieblingsperformerin nun also in hochauflösenden Bildern ansehen. Scheinbar glaubt manch Player der Pornobranche hierzulande, dass, wenn er nur genug Technik auffährt, sich sein Kram doch noch irgendwie verkauft.
Unabhängige FilmemacherInnen in Deutschland machen es auf ihre Weise aber auch nicht besser. Im Speziellen ließ sich das am Eröffnungsfilm des Festivals, „Schnick Schnack Schnuck“ ablesen. Maike Brochhaus schickt in ihrem zweiten Langfilm ein junges Paar aus der Provinz auf getrennten Pfaden durch einen sexuellen Überraschungsparcours in Köln. Die Regisseurin macht aus ihrem Film eine veritable Klamotte, mit Figuren, die kaum gröber gezeichnet sein könnten. Wenn man sich an Klischees nicht stört, ist „Schnick Schnack Schnuck“ ein kurzweiliger Spaß.
Begehren und Eifersucht
Ziemlich störend indes ist der Umgang mit Sex in ihrem Film. Ein guter Porno erfordert Mut und Haltung von den FilmemacherInnen, doch genau dies fehlt hier. Vielmehr wirkt es so, als sei der Beischlaf stets aus einer Haltung des schamvollen Kicherns heraus inszeniert. Zwar werden alle möglichen Kombinationen durchgespielt, von ganz hetero bis ganz homo, doch dem wohnt immer etwas Verklemmtes, etwas Piefiges inne. Wie es anders gehen kann, zeigte die französische Filmemacherin Ovidie mit ihrem Werk „Le Baiser“. Der Film, koproduziert vom Kabelsender Canal+, erzählt von einer jungen Pariserin, die von ihrer Beziehung und ihrem Mann frustriert ist. Per Zufall trifft sie auf eine junge amerikanische Touristin, die ihr bisher ungeahnte Welten des Begehrens und der Eifersucht eröffnet. „Le Baiser“ entwickelt sich zu einem lustvollen Bisex-Film, für den die Regisseurin Ovidie sinnliche und atmosphärisch dichte Bilder findet.
Starke, leidenschaftliche Frauen vor und hinter der Kamera haben die letzten zehn Jahre Pornfilmfestival maßgeblich geprägt. Genannt sei hier stellvertretend Sadie Lune. Die Sexperformerin, Filmemacherin und Künstlerin ist vom Pornfilm-Festival kaum noch wegzudenken und war allein in diesem Jahr in drei Produktionen zu erleben. Sie ist nicht nur dafür bekannt, die lautesten Orgasmen überhaupt zu haben, sondern vor allem für ihren Facettenreichtum. Während sie etwa im Kurzfilm „Last Call“ von Katy Bit erhaben durch einen Fetischkeller schreitet, gewandet in ein rotes Abendkleid aus Spitze und mit Pelzüberwurf, und ein junges Heteropaar mit Strap-On-Dildo zum Bisex verleitet, steht sie für Skyler Braeden Fox‘ autobiografischen Kurzfilm „Hello Titty“ mürrisch im Regen, nur bekleidet mit Korsagen und Stiefeln. Gemeinsam mit ihrem Doggy-Sklaven wartet sie auf Einlass zu letzten Show des „Tit Star Showboy“, bevor der seine Transition zum Mann mit der Entfernung seiner Brüste abschließt.
Am Ende von 15 sehr trashigen wie vergnüglichen Minuten hat der Doggy-Sklave den Besitzer gewechselt, haben Sadie Lunes Brüste Muttermilch verspritzt und hat Skyler Braeden Fox seinen Titten ein veritables Denkmal gesetzt.
Sich erinnern an das, was war, steht im Fokus von Marit Östbergs Film „When We Are Together We Can Be Everywhere“. Die Aufnahmen dazu entstanden vor vier Jahren, zu einer Zeit, als sich eine kleine Community lesbischer und queerer FilmacherInnen in Berlin zu bilden begann. Heute sind in dieser Community viele queere Familien und Babys entstanden, wie es die Protagonistinnen selbst beschreiben. Marit Östbergs Film changiert gelungen zwischen Porno und Dokumentarfilm, zwischen Zeitporträt und Liebeserklärung – an eine Frau und ein kleines lesbisch-queeres Utopia, wie es im Sommer vor vier Jahren geboren wurde.
Utopisch wirken heute auch die Pornos der Produktionsfirma Hand in Hand Films, der die Retrospektive des Festivals gewidmet war. Die Filme, allesamt in den 70er Jahren entstanden, strotzen vor Sexappeal und sind zugleich formal und narrativ ambitioniert. Insbesondere Werke wie „The Destroying Angel“ von Peter De Rome oder „Drive“ von Jack Deveau verwischen die Grenzen zwischen Porno und Spielfilm. Hier waren Filmemacher am Werk, die etwas an sich noch völlig Neues, nämlich kommerziellen schwulen Porno für die Kinoleinwand, auf hochwertige Weise machen wollten. Die meisten der Männer vor und hinter der Kamera waren ein Jahrzehnt später tot. Ihre Filme haben überlebt. Zum Glück.
Die Idee eines Pornfilmfestivals in Berlin war 2006 noch utopisch. Dass es sich lohnt, Utopien zu leben, zeigt dieses Festival, das sich längst zum brodelnden Think Tank, zum Erinnerungsort, Lustmacher und cinephilen Paradies entwickelt hat.
Weiterführendes unter:www.pornfilmfestivalberlin.de
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