: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Portugal Zwar hat der Linksblock eine Mehrheit im Parlament, doch regieren sollen die Konservativen
Aus Madrid Reiner Wandler
Der portugiesische Konservative Pedro Passos Coelho hat mächtige Freunde. „Ich wünsche dem Freund Pedro, dass er erfolgreich eine Regierung bildet“, erklärte Angela Merkel am Rande eines Treffens der europäischen Volkspartei vergangene Woche. Der 51-jährige Chef des Rechtsbündnisses „Portugal voran“ (PaF) gilt der deutschen Bundeskanzlerin als Musterschüler in Sachen Sparpolitik im Süden der Union.
„Es ist Zeit, das Wachstum und die Entstehung von Arbeitsplätzen zu stärken“, schließt sich der ebenfalls konservative portugiesische Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva an und beauftragte seinen Parteifreund Ende vergangener Woche mit der Bildung einer Regierung für weitere vier Jahre.
Das Ganze hat nur einen Schönheitsfehler. Passos Coelho, der in der vergangenen Legislatur mit harter Austeritätspolitik regierte, hat zwar die Wahlen am 4. Oktober gewonnen, verfehlte aber die Mehrheit im Parlament deutlich. Seine PaF erreichte nur 107 der 230 Parlamentssitze. „Wir werden einen Ablehnungsantrag stellen“, reagierten mehrere Sprecher der zweitstärksten Kraft, der Sozialistischen Partei (PS). Parteichef António Costa will selbst Ministerpräsident werden. Die PS hat dazu mit dem Linksblock und dem kommunistisch-grünen Bündnis CDU einen Pakt mit Mehrheit im Parlament geschmiedet. Am Freitag wählten sie gemeinsam den Sozialisten Eduardo Ferro Rodrigues zum Parlamentspräsidenten. Ferro Rodrigues erhielt 120 der 230 Stimmen, während der Kandidat der Konservativen nur 108 Stimmen bekam. Passos Coelho hat jetzt jedoch erst einmal zehn Tage Zeit hat, um dem Parlament ein neues Regierungsprogramm vorzustellen.
„Antieuropäisch“ nennt Cavaco Silva das linke Bündnis. „Ich verstehe nicht, warum die proeuropäischen Kräfte keine Einigung erzielt haben“, macht er fast schon verzweifelt Werbung für eine große Koalition von PaF und PS. Cavaco Silva sieht sich seit der Ernennung von Passos Coelho scharfer Kritik ausgesetzt. Er sei eher „Fraktionschef der PaF als Staatspräsident“, schreibt ein Kolumnist der Zeitung O Público. Andere werfen ihm vor, aus parteitaktischen Gründen wertvolle Zeit zu verspielen.
Die Wirtschaft und die Finanzmärkte, an denen sich Portugal nach einem 78-Milliarden- Rettungspaket wieder Geld borgen kann, bräuchten Ruhe und Vertrauen. Ein Prozess der Regierungsbildung, der sich im Falle eines Scheiterns von Passos Coelho bis Dezember hinziehen kann, sorgt dafür nicht. Portugal hat noch nicht einmal einen Haushalt für das kommende Jahr. Dabei hätte dieser bis zum 15. Oktober zur Überprüfung in Brüssel eingereicht werden müssen.
Während Passos Coelho für weitere Sparmaßnahmen wirbt, um die Staatsverschuldung von 130 Prozent zu senken, verhandelt Costas PS mit dem Linksblock und dem Bündnis CDU um eine Revision der Austeritätspolitik. Die sozialen Auswirkungen sind bislang gravierend. Knapp 600.000 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, die Löhne sanken um rund 20 Prozent, die Renten wurden gekürzt, die Steuern stiegen für die unteren und mittleren Einkommensgruppen. Mehrwertsteuererhöhungen auf mittlerweile 23 Prozent treffen Menschen mit niedrigem Einkommen besonders hart. Laut Gewerkschaften verdient jeder fünfte Erwerbstätige nur noch den Mindestlohn von 505 Euro. 27 Prozent leben an oder unter der Armutsgrenze. Mehr als eine halbe Million, meist junge Menschen, sind ausgewandert.
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