Beim Kaffeebauern kommt am wenigstens an

Konsumkritik StudentInnen führen Jugendliche auf einer konsumkritischen Tour durch die Stadt und weisen auf Missstände in der Welt hin – am Beispiel von Kaffeeplantagen. Was Berliner Geschäfte damit zu tun haben, wird ausgespart. Das soll sich aber ändern

„Marketing-Memory“: Fotos zeigen Werbeplakate einschlägig bekannter Konzerne – oder soziale und ökologische Missstände Foto: Christian Mang

von Julian Rodemann

Plastikflaschen. Überall Plastikflaschen. Der ganze Strand ist voll davon, angespült von den Wellen des Meeres – das Bild wirkt surreal wie eine Montage aus irgendeiner Internet-Plattform. Lisbeth Schröder hält das Foto in der Hand. Sie zeigt es in die Runde aus 15 jungen Menschen am Hackeschen Markt. Stille.

Die Jugendlichen sind mitten in einer Stadtführung. „Aber keiner gewöhnlichen“, sagt Lisbeth Schröder. Die 23-Jährige leitet die Führung zusammen mit ihrer Studienfreundin Hanna-Lynn Pachali. Es geht nicht um touristische Sehenswürdigkeiten, sondern um Konsumkritik. Schröder möchte zeigen, wie unser Kaufverhalten globale Probleme beeinflusst – etwa die Verschmutzung der Meere.

Deshalb das Bild mit den Plastikflaschen. Es ist Teil eines Spiels, das Schröder mit den Jugendlichen spielt. Sie nennt es „Marketing-Memory“. Auf den Steinplatten am Hackeschen Markt hat sie acht Fotos verdeckt ausgebreitet. Vier davon zeigen Werbeplakate einschlägig bekannter Konzerne, die vier anderen Bilder soziale und ökologische Missstände. Jedes Werbebild gehört zu einem Schreckensbild. Schröders Botschaft: „Werbung hat mit der Realität nichts zu tun.“

Die Missstände der Welt

Die Zuhörer nicken. Für sie nichts Neues. Sie kennen die Missstände der Welt – zehn von ihnen kommen gerade aus sozialen Projekten in Entwicklungsländern, haben dort ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) gemacht. Sie gehören zu IN VIA, dem katholischen Verband für Mädchen- und Frauenarbeit.

Auf Schröders Stadtführung sind sie im Internet gestoßen. Schröder und Pachali gehören zu „Weltbewusst“ – einer Gruppe aus fünf Berliner StudentInnen, die konsumkritische Stadtführungen anbietet; vor allem für Jugendliche. Im Jahr kommen sie im Schnitt auf circa 50 Führungen. Sie sind kostenlos, die StudentInnen arbeiten ehrenamtlich. Schröder und Pachali bitten jedoch um eine Spende für das Material.

Dazu gehört etwa ein weißer Schutzanzug. Den kramt Pachali beim nächsten Halt hervor: Vor dem „Pure Origins“-Café an der Spandauer Straße berichtet sie von den Arbeitsbedingungen auf südamerikanischen Kaffeeplantagen. Lisa Petersen, eine der 15 TeilnehmerInnen, streift sich den Schutzanzug über. Er soll vor Pestiziden schützen, die beim Kaffeeanbau zum Einsatz kommen.

Hanna-Lynn Pachali hat den Beipackzettel des Anzugs mitgebracht, reicht ihn in die Runde. „Zu klein geschrieben“, ruft jemand. „Kann man nicht lesen.“ Pachali schaut auf. „Da geht es euch wie den Kaffeebauern“, sagt sie. Der kaum lesbare Beipackzettel sei nur ein Beispiel für mangelnde Sicherheitsvorkehrungen auf den Plantagen. „Das ist auf Teeplantagen nicht anders“, sagt Lisa Petersen. Sie war für ein soziales Jahr in Indien, hat dort mehrere Teeplantagen besucht. „Manche Arbeiter tragen gar keine Schutzkleidung, sodass Insektengift direkt auf ihre Haut gelangt.“

„Weltbewusst“ bietet Stadtführungen auf Anfrage an. Unter der E-Mail-Adresse fue@ferrugo.de kann man Termine vereinbaren. Treffpunkt ist meist der Hackesche Markt. Mehr Infos zu den Weltbewusst-Gruppen und der Idee dahinter gibt es auf www.weltbewusst.org. (taz)

Kaffee sei in Deutschland beliebter als Tee, sagt Pachali. „Sogar beliebter als Bier – Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen.“ Ein dickes Geschäft also. Wer verdient daran? Pachali hat eine Tüte mit hundert Kaffeebohnen mitgebracht. Die Gruppe soll sie auf eingeschweißte Kärtchen auf dem Boden verteilen. Auf ihnen stehen „Staat“, „Verkäufer“, „Händler“, „Plantagenbesitzer“ und „Kaffeebauer“.

Jede Bohne symbolisiert ein Prozent des Verbraucherpreises, also den Betrag, den wir im Supermarkt bezahlen. Lisa Petersen schnappt sich die Bohnen und lässt sie auf die Kärtchen rieseln. Am meisten landet beim Verkäufer. „Nicht ganz richtig“, korrigiert Pachali. Sie liest vor: „45 Prozent gehen an den Staat, 24 an den Verkäufer und gerade mal 5 Prozent an den Kaffeebauer.“ Der Rest verliere sich zwischen Plantagenbesitzern und Händlern. Aber: „Wer zählt denn zu den Verkäufern?“, fragt Lisa Petersen. Pachali zögert. „Weiß ich auch nicht genau.“ Sie verspricht, noch einmal nachzuschauen.

Die Zahlen stammen aus der Weltbewusst-Wiki – einer gemeinnützige Onlineplattform. In Deutschland gibt es über 50 Weltbewusst-Gruppen. Mitglieder laden auf der Plattform Material und Informationen zu den Stationen noch. Die enthaltenen Fakten sind mit Quellenverweisen versehen, lassen sich also überprüfen. Nur: Die Zahlen bleiben meist allgemein. Ein Berlin-Bezug fehlt. Wieso wählt Schröder ausgerechnet das „Pure Origins“-Café aus, um über den Kaffeehandel zu sprechen? „Die Orte sind ziemlich willkürlich gewählt“, gesteht sie. „Wir wollen dem Café vor Ort gar nicht schaden.“

Aber wieso dann überhaupt eine Stadtführung? Wie ungerecht der Welthandel ist, lernt heute doch jeder Achtklässler im Erdkunde-Unterricht. „Wir wollen halt Assoziationen schaffen, damit sich die Leute später beim Einkaufen daran erinnern können“, sagt Schröder. Das sei „eine psychologische Sache“. Dazu tragen laut der 23-Jährigen auch Spiele wie das „Marketing-Memory“ bei. Aber das mit dem fehlenden Berlin-Bezug stimme schon. „Das bekommen wir oft zu hören.“

Deshalb sei die Gruppe gerade dabei, eine Schnitzeljagd zu entwickeln. „Da soll es dann um ganz konkrete Probleme in Berlin gehen“, sagt Schröder. Die Schnitzeljagd könne man sich so vorstellen: Die Gruppe bekommt eine Aufgabe wie „Finde ein Kaffeehaus, das nur 5 Prozent fair gehandelte Kaffeebohnen verwendet“. Da sind Ortskenntnis und Recherche gefragt. Rumfragen, googeln – alles erlaubt. An verlässliche Zahlen der Berliner Unternehmen zu gelangen sei nicht einfach. Hier können die StudentInnen nicht auf die Weltbewusst-Wiki im Netz zurückgreifen, sondern müssen selbst recherchieren.

Wie fair ist „Fair Trade“?

Die Tour möchte zeigen, wie Kauf­verhalten globale Probleme beeinflusst

Sina Sager ist mit der Führung auch ohne Schnitzeljagd zufrieden. Sie war für ihr FSJ in Uganda und weiß, wie es auf Kaffeeplantagen zugeht. „Trotzdem ist manches in der Führung für mich neu.“ Zum Beispiel, dass das Fair-Trade-Siegel „Rainforest Alliance“ von Tchibo einen Anteil fair gehandelter Kaffeebohnen von lediglich 30 Prozent garantiert. „Das hätte ich nicht gedacht“, meint Sager.

Trotzdem sei es wichtig, fair gehandelte Waren zu kaufen, sagt die Stadtführerin Pachali. Der Weltmarktpreis für Kaffee schwankt stark. Wenn er im Keller ist, können die Bauern nicht von ihrer Arbeit leben. Fair gehandelter Kaffee hingegen gewährt ihnen feste Abnehmerpreise; unabhängig von den Turbulenzen am Weltmarkt. Mittlerweile gibt es unzählige Fair-Trade-Siegel. „Doch nicht alle halten, was sie versprechen“, sagt Pachali. Das Tchibo-Siegel ist nur ein Beispiel.

Ins Gedächtnis rufen

Sonst sind die Botschaften der Stadtführung aber nicht neu. Dass etwa T-Shirts für 5 Euro unter unmenschlichen Bedingungen genäht werden, hat sich mittlerweile herumgesprochen. „Das weiß man heutzutage“, sagt die Teilnehmerin Kim-Tina Nava. Trotzdem: „Es schadet nicht, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.“ Höchstwahrscheinlich komme sie wieder. „Vielleicht mache ich sogar mal selbst eine Stadtführung.“