Von Kindern und Jugendlichen

Kino Der dänische Filmemacher Nils Malmros ist in einer Retrospektive im Arsenal zu entdecken

Nach ein paar Stunden mit den Filmen von Nils Malmros kommt man leicht auf den Gedanken, man sei selbst ein Kind im dänischen Århus gewesen. Hätte mit Mette, Jörn und Lars-Ole an einer kleinen Kaffeetafel gesessen und heiße Schokolade getrunken. Wäre mit Gert Schlittschuhlaufen gegangen. Oder mit Elin in den Schulpausen zur Bäckerei, um Küchlein zu kaufen, die man dann hätte anschreiben lassen. Die Rechnung wäre irgendwann ins Haus geflattert. Und zwischen Schimpfen und Belustigung wäre die Reaktion der wohlfrisierten Mutter doch milde ausgefallen.

Auf dem Küchentisch hätte zum Frühstück manchmal eine schmale Kerze gebrannt … Ewig könnte man so fortfahren mit Erinnerungen an eine Welt, die nicht die eigene ist, aber die Nils Malmros für sich und sein Publikum erschaffen hat. Das Kino Arsenal macht sie diesen Monat betretbar, in dem es zehn Filme des in Deutschland weitestgehend unbekannten Dänen in einer Retrospektive zeigt.

Im Grunde handelt es sich jedoch gar nicht um ein Erschaffen. Viel mehr ist das, was Malmros betreibt, eine Rekonstruktion. 1944 geboren, rekonstruiert er die eigene Kindheit und Adoleszenz in seinen Filmen. Sie spielen demnach vorrangig in den 50er und 60er Jahren, einige studentische Episoden verströmen bisweilen den Charme der frühen 70er.

Schön lässt sich das an einem Film wie „Boys“ (1977) nachvollziehen, den Malmros in drei Teile gegliedert hat. Der erste ist dem 5-jährigen Ole gewidmet, der mit neugierigen und oftmals fragenden Kinderaugen in die heile-unheile Bürgerlichkeit blickt und sich mit seinem neuen Kameraden auch mal im Bad einschließt, um Ehepaar zu spielen. Natürlich wird das Experiment von einer Autoritätsperson unterbrochen, die nachdrücklich auf die Klinke drückt, mit der Ermahnung, dass in diesem Haus keine Türen abgesperrt würden.

Ein liebevoll-brutaler Mief zieht sich durch die meisten Filme von Nils Malmros. Und Ole macht natürlich auch im zweiten Akt von „Boys“ Bekanntschaft mit ihm. Dieses Mal gibt es eine Freundin, die er abends mit dem Fahrrad besuchen kommt. Etwaige Annäherungen werden durch die stete Präsenz der Eltern unterbunden, ja in einigen Szenen geht ein regelrechter Horror von ihnen aus. Selbst im finalen Teil, wo es längst keine Eltern mehr gibt, weil die Mädchen in Wohnheimen leben und die jungen Männer offenbar gar kein Heim haben (sondern in Kneipen rumhängen), gängelt eine Nachtwache.

Motive, die sich so oder so ähnlich wiederholen. Sie passen derart gut zusammen, dass drei Filme von Malmros sogar zu einer Trilogie verschmolzen sind: „Lars-Ole, 5c“ (1973), „Boys“ (1977) und „Tree of Knowledge“ (1981). Letzterer ist einer von zehn Filmen, die das Land Dänemark offiziell in seinen Kulturkanon aufgenommen hat.

Ausschlussverfahren

Es sind aber nicht nur Dynamiken, die sich aus dem gespannten Verhältnis zu den Erwachsenen speisen – in erster Linie beobachtet Malmros das Verhalten seiner Kinder und Jugendlichen untereinander. Da gibt es schreckliche Ausschlussverfahren, eine hohe Fluktuation unschuldiger Verbandelungen, Schwärmereien. Das alles präzis und nah gefilmt, realistisch und mit einem Cast, den Malmros zum Teil über mehrere Jahre hinweg begleitet hat.

„Tree of Knowledge“ etwa erzählt die Geschichte von zwölf Schülern über zwei Schuljahre hinweg. Diese Filme handeln von einem Orientierungsbereich, der voller Klippen ist und geheimnisvoll zugleich. „Beauty and the Beast“ (1983) dreht sich beinahe ausschließlich um das Verhältnis der 16-jährigen Mette zu ihrem Vater, einem Akademiker, der viel Zeit vor seiner Schreibmaschine verbringt und nach und nach eine Obsession für das aufkeimende Liebesleben seiner Tochter entwickelt.

Eine heikle Anordnung, dabei wahrscheinlich nicht allzu ungewöhnlich und filmisch dennoch gemieden oder oftmals nur zotig-peinlich verarbeitet. Kompliziert wird es auch in „Pain of Love“ (1992), der die wunderbare Kirsten in den Blick nimmt. Eine Schülerin mit gewinnendem Wesen, der der Zusammenstoß mit der Wirklichkeit nach und nach die Zuversicht aus dem Gesicht wäscht. Der Weg führt in eine suizidale Depression. Carolin Weidner

Bis 30. Oktober, www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm.html