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Verstrahlte Klarträume

Körper Das Pornfilmfestival eröffnet neue Möglichkeitsräume für Begegnungen verschiedenster Identitätsentwürfe

„The Duke of Burgundy” schildert die Erosion einer lesbischen SM-Beziehung zweier Schmetterlingsforscherinnen Foto: Edition Salzgeber

von Thomas Groh

Ein schönes Jubiläum: Zum zehnten Mal lädt das Pornfilmfestival zu fünf Tagen außerhalb der Zeit und erklärt das Kino Moviemento zur schönsten Heterotopie im Berliner Festivalbetrieb, zu einem Ort der Begegnung verschiedenster Idenitätsentwürfe und -verabschiedungen, der Abenteuer und Neugier, des Experiments. Das Pornfilmfestival – ein Fest der Lust am und der Neugier auf den Körper.

Es ist im besten Sinn unfassbar: Für Normen und Kategorien interessiert es sich – trotz eines Hinweissystems im Programmheft, das explizite Inhalte und Präferenzen signalisiert – eben nur so weit, wie sie Restriktionen überwinden und neue Möglichkeitsräume eröffnen. Wobei auch der „Porn“ nur eine Möglichkeit impliziert. Nicht alle Filme sind dem üblichen Verständnis nach pornografisch, vielmehr steckt in der Selbstbezeichnung ein Versprechen: Porno als Chiffre für Überschuss, für das Interesse an im Betrieb nicht vorgesehenen Filmformen, die sich auf unterschiedlichste, stets interessante Weise mit dem Körper, den sich darin kreuzenden Politiken und Potenzialen befassen – ob erotisch oder, wie das sehenswerte ukrainische Prostitutionsdrama „The Tribe”, vor trister Verfallskulisse.

Nicht nur mit einer 35-mm-Aufführung zu Ehren von 40 Jahren „Rocky Horror Picture Show” kommt das Festival in diesem Jahr wieder auf die 70er zu sprechen. Diese stellen nicht nur das „Golden Age of Porn“ dar, sondern brachten auch in anderen kinematografischen Randgebieten wunderbar anarchischen Wildwuchs.

So in Jack Deveaus schwulem Porno „Drive“ (1974) aus der Retrospektive zu Ehren der Produktionsgesellschaft „Hand in Hand Films”. Die Handlung um ein Serum, das den Sexualtrieb abtötet, interessiert weniger, vielmehr fasziniert die Machart: Deveau montiert und zerfasert seinen mit abenteuerlichen Sexszenen garnierten Film auf grandios überdrehte Weise und unterlegt ihn noch mit einem fiebrigen Synthie-Soundtrack, als gehe es in diesem frei flackernden Irrsinn summa summarum darum, das restliche Avantgardekino als einfallslos zu brandmarken. Dass es „Drive” in Tempo und Tonfall zunächst langsam angehen lässt, mag Signalcharakter haben, dauert es doch, bis zu Filmbeginn womöglich eingeworfene LSD-Trips zu wirken beginnen.

„Malacreanza” ist ein von Plot-Ballast befreites Farbexzess-Kino

Um 70er Drogenkino handelt es sich auch bei dem aktuell produzierten „Malacreanza” von Cosmotropia de Xam, einem Phantom der hiesigen Film­sze­ne aus dem musikalischen Witch-House-Underground. Seit geraumer Zeit plündert er für sein Musikprojekt Mater Sus­piria Vision die Ikonografie des Italo-Genrekinos, insbesondere dessen Überlieferung durch obsolete Medien wie VHS und Laserdisc. Zu den geisterhaften Videoclips des Projekts gesellt sich nun ein Korpus an vom Betrieb unbemerkten Filmen, die den avantgardistischen Überschuss des historischen Italokinos vom narrativen Gerüst isolieren und mit großzügigem Filtereinsatz nostalgisch verschrammen und verunschärfen: Post-Internet-Video-Art, für die sich das Gothic-Model Shivabel zu deliranter, ans durchgeknallte Krautrock-Projekt Cosmic Jokers erinnernder Musik nackt durch Ruinen, Tunnel und Schädelstätten säuselt. Hypnagogisch, hauntologisch, oneironautisch verstrahltes, von Plot-Ballast befreites Farbexzess-Kino, für das man im Dämmerzustand am empfänglichsten ist.

Auch für Peter Stricklands Meisterwerk „The Duke of Burgundy” stellt das Kino der 70er den zentralen Bezugspunkt dar: Vom ätherischen Soundtrack von Cat’s Eyes melancholisch umflauscht, schildert das Melodram die Erosion einer lesbischen SM-Beziehung zweier Schmetterlingsforscherinnen, in der das zunächst eindeutig erscheinende Verhältnis zwischen Top und Bottom einer komplizierteren Sachlage weicht. Von Jess Franco über Fassbinder bis zum tschechischen Kino reichen die Einflüsse, vor denen sich Strickland in diesem unendlich sanften, unendlich traurigen Film verneigt.

Dass sich ausgerechnet der Underdog des Berliner Festivalbetriebs die Berlinpremiere eines der besten Filme des Jahres gesichert hat, spricht für sich: Auf viele weitere, aufregende Jahre mit dem Pornfilmfestival!

Pornfilmfestival: 21.–25. 10., Kino Moviemento, Kottbusser Damm 22, Programm unter:www.pornfilmfestivalberlin.de

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