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Archiv-Artikel

Ein Unglück für die SPD KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Was ist mit der SPD los? Woher kommt dieser zwanghafte Wunsch, sich ohne Not in aussichtslose Lagen zu befördern? In Situationen, in denen nur noch die Flucht nach vorne oder der Rückzug übrig bleiben?

Franz Müntefering hat gestern sein Amt als Parteichef und vielleicht auch als Minister weggeworfen. Dieser Akt verrät eine ähnliche Irrationalität wie Schröders Neuwahl-Idee, die das Ende von Rot-Grün einläutete. Müntefering wollte auf Biegen und Brechen seinen Adlatus Kajo Wasserhövel zum Generalsekretär machen. Dahinter schimmert die Idee, dass die SPD eine funktionierende Maschine sein soll, keine eigenständige Organisation. Wie unter Schröder soll die Partei Anhängsel der Fraktion sein und die Fraktion Anhängsel der Regierung. Doch genau damit hat Schröder die SPD in die Krise katapultiert. Fast 200.000 Genossen haben die Partei seit 1998 verlassen.

Das Parteipräsidium hat begriffen, dass es so nicht geht. Gerade in einer großen Koalition, in der es Zumutungen hagelt, braucht die SPD eine eigene Stimme. Und die würde Andrea Nahles haben. Allerdings ist Nahles machtbewusst und loyal – in alter SPD-Manier auch gegen eigenen Glauben. Ein paar rhetorische Korrekturzeichen, um die Schmerzen der Parteiseele zu lindern, mehr würde auch Nahles nicht tun.

Niemand weiß das besser als Franz Müntefering. Warum hat er alles weggeworfen? Offenbar hat Müntefering versucht, Schröders autoritären Führungsstil zu imitieren – und keiner hat es ihm geglaubt. Ein Missverständnis also. Vielleicht ist Müntefering auch nur hoffnungslos altmodisch. Ein Parteichef ohne Mehrheit muss gehen – egal worum es geht. Parteiethos, geschrumpft auf eine Formalie.

Münteferings Abgang ist für die von Schröders Egotouren ohnehin zerzauste SPD ein Unglück. Er verkörpert wie kein Zweiter sozialdemokratische Tugenden: zuverlässig, uneitel. Wer soll der SPD die schmerzhafte Sparpolitik nun glaubwürdig präsentieren – ein Technokrat wie Peer Steinbrück? Kaum. Ohne Müntefering kann sogar die gesamte Statik der großen Koalition zusammenbrechen. Das wäre ein Sieg des Irrationalen über das Vernünftige. Die SPD scheint sich derzeit selbst nicht zu verstehen.