: Kreucher und Fleucher: FFH zum Anfassen
Immer wieder durchkreuzen Tiere die Pläne von Politikern und Industrie. Schuld daran ist die Europäische Union, die mit ihren Richtlinien biologische Vielfalt erhalten will
„FFH“ – eine Buchstabenkombination, die all denen Magenschmerzen bereitet, die etwas bauen wollen und das möglichst fix. Nach der Flora-Fauna-Habitat (FFH)-Richtlinie der Europäischen Union unterliegen Gebiete, in denen gefährdete Pflanzen- und Tierarten heimisch sind, einem besonderen Schutz. Maßgebend ist dabei ihr Beitrag zu biologischen Vielfalt in Europa.
Pläne für Landebahnen, Häfen, Flusstunnel und Gewerbegebiete müssen deshalb stets daraufhin überprüft werden, ob sie FFH-verträglich sind. Gebaut werden kann allerdings trotzdem, wenn öffentliche Interessen überwiegen. Das Verfahren ist in diesen Fällen komplizierter, die Planungen unterliegen besonderen Auflagen. Ein Beispiel ist das Mühlenberger Loch – eine Ausbuchtung der Elbe bei Hamburg. Das bis dato größte Süßwasserwatt wurde zugeschüttet, obwohl sich dort Trauerseeschwalbe, Löffelente und Zwergmöwe herumtrieben. Der Grund: Der Senat wollte es dem Flugzeugbauer Airbus ermöglichen, sein Betriebsgelände zu erweitern, um das Riesenflugzeug A 380 bauen zu können. Arbeitsplätze waren in diesem Fall wichtiger als Brutplätze.
Der Schrecken aller Bauherren, die nah am oder im Wasser bauen wollen, ist derzeit die Finte, ein kleines unscheinbares Tierchen aus der Ordnung der Heringsfische, das sich laut Lebensmittellexikon gut zum Räuchern eignet. Allosa Fallax, so die wissenschaftliche Bezeichnung, tummelt sich in küstennahen Gewässern und Flussmündungen, wandert aber zur Fortpflanzung flussaufwärts. Während ihrer Wanderung ist die Finte extrem anfällig für Störungen wie Baulärm oder gar Spundwände, die ihr direkt vor das Maul gesetzt werden, weil ihre Organe sich von Salz- auf Süßwasser umstellen. Fintenalarm schlug der Bremer Biologe Michael Schirmer Ende 2003, als es um den Bau eines Containerterminals bei Bremerhaven ging. Weitere Fintenprobleme gibt es bei einem geplanten Autobahntunnel bei Bremen, Offshore-Windanlagen vor der niedersächsischen Küste oder der Elbvertiefung für den Hamburger Hafen. Neben seiner Eignung als Trumpf, um andere Landesregierungen auszustechen (siehe oben stehenden Artikel), hat die Finte noch eine Besonderheit. Wenn sie sich mehrt, sagt Fintenfachmann Schirmer, sei das „ein sehr lautes Geschehen, ein Spaddeln und Sprudeln und Springen“ direkt unter der Wasseroberfläche, das Ohrenzeugen als „lautes Schraubengeräusch“ beschreiben, noch dazu „meilenweit“ zu hören.
Was den Niedersachsen ihre Finte, ist den Bremern ihr Schlammpeitzger. Fünf Jahre lang war Misgurnus fossilis – der eine Zeit ohne Wasser auskommen kann und die Kunst der Darmatmung beherrscht – ein Dauergast in Bremer Medien. Der kleine walzenförmige Fisch symbolisierte den 20-jährigen Kampf von Naturschützern gegen die Bebauung eines innerstädtischen Feuchtwiesengebiets und außerdem die widerstreitenden Interessen in der großen Koalition. Erst Ende 2004 entschied sich die Bremer Regierung, das so genannte Hollerland als FFH-Gebiet der EU zu melden und damit auf eine Gewerbeansiedlung zu verzichten, an der vor allem die CDU hing.
In Schleswig-Holstein sorgen Vögel für Zwist. Auf der Halbinsel Eiderstedt sind es die Trauerseeschwalben. Rund um den Flughafen Lübeck-Blankensee verhindern Neuntöter, Brachpieper, Heidelerche und Wespenbussard den Ausbau des Mini-Airports. Eiken Bruhn