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Der Film schaut sich selbst zu

Kino In „Die Liebeswüste“, der in der Brotfabrik gezeigt wird, zeigt der Moabiter Regisseur Lothar Lambert, wohin die Einsamkeit die Leute treiben kann. Entstanden ist die Arbeit aus Filmresten

„Die Liebeswüste“: Jeder leidet mehr oder weniger still vor sich hin Foto: Berlin-Film-Katalog

von Detlef Kuhlbrodt

Früher war gestern. Viele Bands, die in den 80er Jahren berühmt waren, treten wieder auf. Filme wie „B-Movie“ berichten noch einmal mit alten Aufnahmen vom Risiko, Blixa Bargeld und solchen Dingen. Einer fehlt im Allgemeinen, wenn an die 80er Jahre in West-Berlin erinnert wird: der mittlerweile 71-jährige Moabiter Filmemacher Lothar Lambert, der seine mittlerweile über 40 Filme „durchweg konsequent an den Bedürfnissen, Produktionsstrukturen und Vertriebswegen des Marktes vorbei gedreht“ hat, wie es einmal im Tagesspiegel hieß. Und vor allem nie Teil einer coolen Szene war. Er fehlt natürlich nicht ganz, doch wenn an ihn erinnert wird, geht es nicht um die 80er Jahre, sondern um das heterogene Gesamtwerk.

Nun kommt sein Film „Die Liebeswüste“ von 1986 noch einmal für ein paar Tage ins Kino der Brotfabrik. Der Film zeigt ein anderes, versunkenes West-Berlin, nicht das, was so optimistisch, als Fortschrittsgeschichte irgendwie auch in „B-Movie“ gezeigt wurde. Ein Westberlin, in dem das Scheitern nicht zur Chance umgedeutet wird, außenseiterische Protagonisten, die auf ihrer Suche nach Liebe/Sex scheitern. Hilfloses Pathos des Dennoch. „Man muss doch zeigen, wohin die Einsamkeit die Leute treibt“, sagt Lambert über seinen großartigen Schwarz-Weiß-Film, der seltsam entrückt wirkt.

Fehler im Kopierwerk

„Kein Schwanz ist so hart wie das Leben (Berliner Toilettenspruch)“ heißt es am Anfang auf einer Tafel wie im Stummfilm. Lothar Lambert verwendet gern solche Mottos, die oft durch ihre Abgegriffenheit glänzen. Schade, dass er keine Spielfilme mehr dreht. Bei seinem letzten Dokumentarfilm, „Erika mein Superstar“, mit und über die Berlinale-Fotografin Eri­ka Rabau, die hier einen kleinen Gastauftritt hat, hieß es: „Ich mache weiter bis zum Umfallen“. „Die Liebeswüste“ ist von 1986. Mit Minibudget und ohne Drehbuch gedreht wie die meisten Lambert-Filme. Eigentlich war ein ganz anderer Film geplant. Die Hälfte des Materials für den Film war aber im Kopierwerk kaputtgegangen.

„Es war wirklich eine Katas­trophe. Ich habe alles, was erhalten geblieben war, in dem Film verwendet. Ich benutze ja sowieso immer alles, was ich gedreht habe. […] Nachdem das zerstört worden war, habe ich aufgegeben, das Projekt so weiterzuverfolgen, wie ich es mir gedacht hatte. Eigentlich hatte ich sowieso nicht viel geplant, sondern wollte erst einmal die verschiedenen Geschichten erzählen und später sehen, wie ich sie miteinander kombiniere, am Schneidetisch. Ursprünglich sollten das locker miteinander verbundene Episoden werden: Jeder leidet mehr oder weniger still vor sich hin.“ In der Rahmenhandlung des Films sitzt Lothar Lambert mit seinen Darstellern und Freunden Albert Heins, Ulrike S. und der Filmemacherin Dagmar Beiersdorf am Schneidetisch und zeigt ihnen die verbliebenen „mickrigen Reste“ des Films. Man sieht sie frontal. Der Film schaut sich selber zu.

Das Schwarzweiß wirkt warm. Auch der Ton wirkt warm, weil er so leicht rauscht

Dagmar Beiersdorf, die von Lambert beeinflusste („Dirty Daughters“), allerdings „geschneidigere“ (Lambert) Filme gedreht hat, kritisiert oft die Drastik der Darstellungen. Ulrike S., die Hauptdarstellerin, die eine seelisch kranke, stumme Exhibitionistin spielt und bis 86 in einigen Lambert-Filmen sehr weit ging, verteidigt den Filmemacher. Die Liebe ist so kaputt, wie die Gesellschaft, die sie umgibt. „Du wolltest doch zeigen, die Umwelt ist verrückter als diese kranke Frau.“

Die einzelnen Episoden: Ulrike S. verlässt die psychiatrische Klinik und läuft mit einem Mantel bekleidet, unter dem sie nackt ist, durch die Gegend. Beobachtet Leute auf dem Rummelplatz, öffnet manchmal ihren Mantel, nähert sich auch Frauen auf der Suche nach Liebe. Scheiternde Beziehungen und diesbezügliche Gespräche zwischen deutschen Frauen und Südländern. Alte Frauen im Rollstuhl, die ihre Nachbarn belauschen. Dieter Schidor, der auch bei Fassbinders „Querelle“ dabei war, spielt einen verzweifelten Schwulen. Mal beim Toi­lettenhäuschen, mal in einer Wohnung, wo er auf der Seite liegend, einem Mann seinen nackten Hintern präsentiert. Doch der ist nicht interessiert. „Kauf dir doch einen Gummischwanz.“

Auch weil die Bilder oft nicht ganz ausgeleuchtet sind, wirkt das Schwarzweiß warm. Auch der Ton wirkt warm, weil er so leicht rauscht. Dass es kaum Originalton gibt, dass fast alle Dialoge später aufgezeichnet wurden, ist zwar der Not geschuldet, erweist sich aber als Vorteil. So entsteht eine fast Brecht-mäßige Distanz zum verzweifelten Geschehen.

„Die Liebeswüste“. Regie: Lothar Lambert. Mit Ulrike S., Dagmar Beiersdorf u. a. Deutschland 1986, 61 Min. Bis 14. Oktober, Brotfabrik Kino, 18 Uhr; heute mit Einführung von Jan Gympel, Lothar Lambert und Ulrike S. sind anwesend

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