Berlinmusik

Namenloser Schwindel

Eigentlich sind The Necks ja eine australische Band. Ihr Schlagzeuger Tony Buck – und damit immerhin ein Drittel der Besetzung – lebt allerdings schon seit Jahren in Berlin. Auch der Pianist Chris Abrahams ist öfter in der Stadt anzutreffen. Die Grenzziehung ist daher ein wenig verwischt. Und was das Trio – mit Lloyd Swanton ist noch ein Bassist mit von der Partie – an seinen Instrumenten verrichtet, passt bestens zur improvisierten Musik, die in Berlin gepflegt wird.

Die Alben von The Necks folgen einem übersichtlichen Prinzip: Man beginnt zu spielen, hat vielleicht ein paar grobe Vorstellungen davon, was man gemeinsam erreichen will, doch das Ergebnis weicht in der Regel stark von der ursprünglichen Idee ab. Hinzu kommt eine Vorliebe für ausgedehnte Formen, auf den meisten ihrer Platten gibt es genau ein Stück, das in etwa eine Stunde lang dauert.

Auf „Vertigo“ gibt es wieder eine solitäre Großimprovisation, eine Dreiviertelstunde lang, die während ihres Verlaufs verschiedene Stationen passiert, gelegentlich dunkel grollt, dann wie ein versonnenes Nachtstück vor sich hin träumt oder ambivalent flirrt. Durch den sehr allmählichen Fluss dieses sanft gelenkten Klangstrudels entsteht der Eindruck von großer Geschlossenheit, gelegentliche Ausbrüche eingerechnet. Schwindelig wird einem dabei nicht, man weiß am Ende der Reise nur nicht so recht, wo genau man hingeraten ist.

Ähnlich wie The Necks, wenngleich nicht kontinentübergreifend, überbrückt das Quartett Polwechsel zwei Städte, leben seine Musiker doch in Berlin, Wien und zwischen beiden Städten. Polwechsel kombinieren zudem freie Improvisation und strenge Kompositionsverfahren. Ihr Klang ist dabei geräuschhafter, weniger melodisch und stärker auf eine Auswahl bestimmter musikalischer Elemente konzentriert.

Ihrem abstrakten Ansatz gemäß heißt ihr jüngstes Album folgerichtig „Untitled (No. 7)“. Wobei Abstraktion, ganz wie in der Malerei, ein Loslösen von vertrauten Mustern meint. Die auf diesem Wege produzierten Klänge hingegen sind in ihrem Insistieren auf der eigenen Materialität durchaus konkret. Man kann darin die verschiedensten Muster erkennen, beliebig wirkt bei ihnen nichts. Vielmehr ist ihr meditativ anmutendes Vorgehen wie eine Verdichtung der kleinen Gesten zur großen Struktur. Tim Caspar Boehme

The Necks: „Vertigo“ (ReR Megacorp), live 7. 11., Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

Polwechsel: „Untitled (No.7)“ (GOD Records)