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Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 5: Die Herren der Straße betreten den Hof

Die Herbstsonne beschien die kleine Straße nordöstlich des Fernsehturms an diesem denkwürdigen Oktobertag noch einmal mild und glitzernd. Die Wirtinnen, sowohl jene des blaulichtgenannten Etablissements, mit seinem höhlenartigen Gastraum und den unverwechselbaren Gestalten darin, als auch jene des Bioladens, mit seinen einladenden Düften und wollenen Decken, die noch bei abnehmenden Temperaturen zum Hinhocken ermunterten, schwangen schweigsam Laubbesen hin und her. Sie nickten einander kurz zu, fegten weiter vor ihren Türen, in verschiedene Himmelrichtungen strebend.

„Istesdas?“

„Ja.“

„Ahichsehewassiemeinen.“

„Hab ich’s nicht gesagt?“

„Jajadamüssenwirwastun.“

Die Männer hockten auf dem Rücksitz der Limousine, rückten ihre Brillen zurecht und machten Notizen. Dem Chauffeur, seine Mutter war ganz in der Nähe aufgewachsen, wurde mulmig.

„Soll ich den Motor ausstellen?“

„Neinneinschonrecht. Fahrensie. Genuggesehen.“

Hildegard ließ die Kneipentür ins Schloss krachen. Für sie würde der Betrieb erst später beginnen. Seit sie den Schatz im Klo entdeckt hatte, konnte sie nach Jahren voller durchwachter Nächte endlich wieder ruhig schlafen, ja, sie träumte die wunderbarsten Sachen zusammen. Und nicht nur das. Ein alter Verehrer war plötzlich wieder aus der Versenkung aufgetaucht, lud sie ins Theater ein, schwärmte mit seinen blauen Augen und beantragte wortlos eine Verlängerung. Da war nichts angerostet. Ganz im Gegenteil. Nur manchmal, wenn Hildegard nach der Arbeit allein auf ihrem Fahrrad durch die Straße fuhr, durchzuckte sie beim Anblick der renovierten Stuckfassaden die Angst: Was, wenn es jemand herausbekäme?

Anne ließ der Gedanke an die Männer nicht los, die am Morgen plötzlich im Hof gestanden hatten. Sie war schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen gewesen. Nicht nur, dass die Jungs seit Beginn des Schuljahres früher aus dem Haus mussten, auch die Lieferanten warteten ja nicht auf sie. Beim Müllwegtragen war sie denen direkt in die Arme gelaufen. Maßgeschneiderte Anzüge, trainierte Typen, chiemseebraun. Wie pikiert die sie anschauten, nachdem sie sich vorgestellt und ihren Namen in den Hinterhof gesprochen hatte …

Der Tag verstrich wie die Tage zuvor und alle, die noch kommen würden. Um Mitternacht, als die letzten Menschen die Kaufhalle verlassen hatten, der gelbgesichtige Sicherheitsmann die Türen verriegelt und wenigstens das Außenlicht gelöscht hatte, kehrte im Viertel wieder Ruhe ein. Die scheuen Katzen kreuzten geduckt die Straße. Ein Marder sprang flink und mordlüstern unter den Autos entlang. Wolken zogen, umkränzten den schwindenden Mond. Hinter den Fenstern konnte man hier und dort das blaue Flackern der Bildschirme erkennen. Menschen schliefen ein. Das leise Ticken der Wecker schaukelte sie in die Träume.

Der Komponist kam brummend die Straße entlang. Er hatte ein neues Wort gelernt: Gefallsucht. Ja, ist wirklich ein Problem, dachte er. Besonders bei diesen jungen Sängern. Neue Musik hin oder her – er hatte viel damit zu tun. „Bozhe moj!“ Der Komponist fühlte sich gerade berauscht genug, um auf das blaulichtzuzusteuern. Gefallsucht – die würde er dort nicht finden. Garantiert nicht. Die Menschen in dieser Straße verdienten es, umschlungen zu werden, millionenfach. Hier lebte er, hatte sein Herz zu jubilieren gelernt. Allein der Sex! Gerade der mit den gefallsüchtigen Sängern! Ha! Er dachte an Oleg... Und anschließend waren sie händchenhaltend zum Park gelaufen, hatten den Rest des Tages nebeneinander auf der Wiese gelegen, Schulter an Schulter. Der Komponist erinnerte sich an das warme Gras.

Lale, die soeben Hildegard zur Nachtschicht abgelöst hatte, stand mit verschränkten Armen in der Kneipentür und beobachtete den Komponisten, den sie für einen Russen hielt, obwohl er in Wahrheit zur russischsprachigen Minderheit in Litauen gehört hatte, bis er mit seinem Stipendium hier im Kiez gestrandet war. Ihm war egal, für was man ihn hielt. Ob Russe, Balte oder Ukrainer – das kümmerte in Berlin doch eh kein Schwein. „Guten Abend, Gnädigste!“, nickte er Lale zu. Die nahezu akzentfreie Anrede, die gerade Haltung und sein auffallend klarer Blick versetzen sie in Erstaunen. Der konnte ja richtig gut aussehen! Bislang hatte sie den Nachbarn ihres Liebsten Django, des besten Gitarristen der Welt, nur als gebeugt durch die Straßen eilenden Muffel wahrgenommen.

„Na, kann ick helfen?“

„Haben Sie einen guten Weißwein?“

„Folgen Sie mir unauffällig!“

Bei seiner Landung am Tresen krachte der Komponist mit Sprottenpeter zusammen. Der knurrte nur missmutig. Marianne war allein ans Meer zurückgekehrt. Erneut verloren. Seitdem ging‘s bergab.

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels, Jg. 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band „Der Singende Tresen“. Soeben erschien beim Verbrecher-Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com

Anne lag wach. Das Kichern ihrer Söhne im Zimmer nebenan war verstummt. Die beiden schliefen endlich. Nur sie selbst ließ das ungute Gefühl des Morgens nicht mehr los. Gleich Montag würde sie mit der Hausverwaltung telefonieren. Noch vor ein paar Tagen hatten die die Gerüchte dementiert. Ihr Vertrag sei sicher. Keine weiteren Modernisierungen. Kein Verkauf. Aber wonach, bitte sehr, hatten die Typen denn sonst ausgesehen? Sie drehte sich auf die Seite und schloss ihre Augen. Ihr war kalt.

„Isthiernochfrei?“

Diesmal knurrte Sprottenpetter laut und drohend. Dass dieser Russe plötzlich hier aufgetaucht war – geschenkt. Aber was zur Hölle wollte jetzt auch noch dieser aalglatte Anzugkasper im blaulicht?

„Sagensie: Siesinddochstammgastoder?“

„Na und?“

„Wieläuftdennderladenso?“

Sprottenpeter wurde hellhörig. Er musterte den Nebenmann mit unverhohlener Verachtung. War es das, was Hildchen neulich bei der Verabschiedung gemeint hatte: „Es kommt alles noch janz anders, mein Lieber, als du denkst.“ Würde sie verkaufen?

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