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„Lauter perverse Leute“

REVUE Die Musiktheaterproduktion „Reading Salome“ in den Sophiensælen schickt Dragqueens und -kingsauf die Bühne, um anhand von Richard Strauss’ Oper „Salome“ nach dem Monströsen im Begehren zu fragen

Schon Strauss’ revolutionäre Vertonung des Salome-Stoffes stieß auf kulturelle Widerstände

von Katharina Granzin

Der Regisseur Oscar Fritz Schuh ließ sich, als er 1940 den Posten des Oberregisseurs an der Wiener Staatsoper übernahm, vertraglich zusichern, dass er niemals Opern von Richard Strauss werde inszenieren müssen, und begründete das damit, „daß ich mir bei Werken wie Salome [...] bewußt geworden bin, warum 1914 in Europa der Weltkrieg ausbrechen mußte“. Diese Haltung war während der Nazizeit zwar Mainstream, zeigt aber, wie groß die anhaltenden kulturellen Widerstände waren, mit denen es Strauss’ revolutionäre, erstmals 1905 in Dresden uraufgeführte Vertonung des Salome-Stoffes zu tun hatte (eine geplante Inszenierung an der Wiener Staatsoper wurde wegen „Unsittlichkeit“ des Stoffes abgesagt).

Und es stimmt ja: In „Salome“ herrscht Krieg, ein offener, blutiger Krieg des Begehrens, der mehrere Todesopfer fordert. Gefangene werden nicht gemacht. Die wunderschöne Prinzessin Salome, deren Mutter Herodias mit Herodes verheiratet ist, wird von ihrem Stiefvater begehrt. Sie selbst entbrennt in rasender Begierde zum Propheten Jochanaan. Der wiederum scheint in unguter Weise von Salomes Mutter besessen, die er anhaltend beschimpft und schmäht, während er ihre Tochter ausdauernd abweist. Doch je verletzender Jochanaan sich äußert, desto mehr facht er Salomes erotische Besessenheit an. Irgendwann, nach einigem Hin und Her und dem Schleiertanz für Herodes, bekommt Salome immerhin Jochanaans Kopf, den sie sich gewünscht hatte – um ihn endlich küssen zu können! Angeekelt von Salomes Wahnsinn, lässt Herodes auch sie töten. Der einzige in diesem Gefühls- und Triebchaos wahrhaft naiv Liebende, ein in Salome verguckter Offizier der Palastwache, hat sich da im Übrigen schon längst vor lauter Kummer selbst umgebracht.

Das Libretto der Oper hatte Strauss mehr oder weniger direkt aus Oscar Wildes 1896 uraufgeführtem Stück „Salome“ übernommen, es lediglich gekürzt und angepasst. Das macht „Salome“ zu einer der ersten durchkomponierten Literatur­opern der Musikgeschichte. Oscar Wilde, der bekanntermaßen homosexuell war, konnte vermutlich auf einen beträchtlichen Erfahrungsschatz an hoffnungs- und ziellosem Begehren zurückgreifen, als er den biblischen Salome-Stoff auf eine Weise umkrempelte, die dessen triebgetriggerte Unterströmung an die Oberfläche brachte und die Strauss in einen scheinbar wilden tonalen Zusammenhang bringt, wo zusammen zu hören ist, was nicht zusammengehört, und Hörgewohnheiten auf beunruhigende Weise missachtet werden. Auch von Wagner’schem Wohlklang hatte sich diese Tonsprache schon weit entfernt; eher ist es bereits eine Ästhetik der rohen Expressivität, die Strauss verfolgt.

Doch weder zu Wildes noch zu Strauss’ Zeiten gehörte Crossdressing zu den akzeptierten Methoden öffentlicher Infragestellung von Geschlechterrollen. Wenn jetzt Johannes Müller und Philine Rinnert mit ihrer neuen Musiktheaterproduktion „Reading Salome“ in den Sophiensælen eine Riege von Dragqueens und -kings auf die Bühne bringen, um Strauss’Oper zu „lesen“, so stellen sie damit vor allem eine Reihe von neuen Fragen an den Stoff. Der Akt des „Lesens“, der in den Titel des Abends mit eingegangen ist, kann und soll dabei auf zwei verschiedene Arten verstanden werden. Zum einen bezieht er sich auf, wie es in der Vorankündigung heißt, „eine von New Yorker Dragqueens entwickelte Technik, eine Konkurrentin zu ‚lesen‘, also zu durchschauen und schamlos beißend zu formulieren, was im gewählten weiblichen Erscheinungsbild nicht funktioniert“.Das weibliche Erscheinungsbild der originalen Salome allerdings, so möchte man anmerken, muss ja hervorragend funktioniert haben – nur eben bei Jochanaan nicht. Richard Strauss selbst bemerkte dazu, die Personen seiner Oper seien „lauter perverse Leute, und, nach meinem Geschmack, der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan“. Auf die Kostümierung der DarstellerInnen darf man jedenfalls gespannt sein.

Die andere Bedeutung des Lesens, die in den Sophiensælen gepflegt werden soll, ist die klassische und beinhaltet musikwissenschaftliche Stippvisiten in die Strauss’sche Partitur. Im Ergebnis ist eine Art „Salome“-Revue zu erwarten, bei der das „Monströse“ in Strauss’ Oper nachhaltig umkreist werden soll, der Unterhaltungswert aber hoffentlich keineswegs zu kurz kommt. Dazu versprechen die Macher eine Abhandlung über „die Exotik der Oper und die Frage, ob es eine Befreiung sein könnte, ein Monster wie Strauss’ „Salome“ zu sein“. Das ist eine Frage, über die man vielleicht wirklich mal nachdenken könnte.

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