: Heldenhafte Luschen
FUSSBALL Leverkusen verliert beim FC Barcelona ein Spiel, das den Mythos von den labilen Bayer-Bürschchen nährt
aus Barcelona Daniel Theweleit
Es war eine merkwürdige Mixtur gegensätzlicher Gefühle, von der das Leverkusener Reisegrüppchen am späten Dienstagabend erfasst worden war. Auf einigen Gesichtern lag nach der knappen 1:2-Niederlage beim FC Barcelona ein sanftes Lächeln, 80 Minuten lang habe ihm diese Partie „großen Spaß“ gemacht, erzählte Christoph Kramer, um kurz darauf zu behaupten, er sei nun „drei Tage lang der traurigste Mensch der Welt“. Torhüter Bernd Leno berichtete, dass sich diese Niederlage „noch bitterer“ anfühle als das 7:1, mit dem die Werkself vor dreieinhalb Jahren in Barcelona gedemütigt worden war. Drei Sätze später erklärte der Torhüter jedoch: „Wir können stolz sein.“ Niemand wusste, was er empfinden sollte nach dieser guten Leistung beim Titelverteidiger der Champions League. Freude? Frust? Ärger? Stolz? Oder doch alles auf einmal?
Kritiker, die vertraut sind mit der Geschichte von Bayer Leverkusen, können nun anmerken, die gute alte Neigung zur Zufriedenheit in der Niederlage, die nach dem Spiel deutlich zu spüren war, bleibe ein ewiges Problem beim Werksklub. Leverkusen hat es sich ja tatsächlich schon oft in der Rolle des zweiten Siegers, der freundlich gelobt wird, bequem gemacht. Eine der komplexesten Herausforderungen für Trainer Schmidt besteht darin, diese Bequemlichkeit zu überwinden. Da sind sie in Barcelona nicht weitergekommen. Aber es gibt eben noch dieses zweite Großprojekt beim Werksklub, für das die Reise nach Katalonien als Meilenstein betrachtet werden kann.
Nach einer Serie furchtbarer Niederlagen gegen einige der namhaftesten Teams der Champions League sollen die Spieler und der gesamte Klub lernen, scheinbar übermächtigen Gegnern selbstbewusst und auf Augenhöhe zu begegnen. Das haben sie in der jüngeren Vergangenheit nie besser hinbekommen, als an diesem kühlen Spätsommerabend. „Das Wichtige an dem ganzen Spiel ist, wie wir aufgetreten sind, wie wir Bayer Leverkusen repräsentiert haben“, sagte Roberto Hilbert, und Kapitän Lars Bender hob hervor, „dass wir uns weiterentwickelt haben, dass wir wesentlich gefestigter wirken im internationalen Bereich“.
Tatsächlich hatten die Leverkusener 80 Minuten lang beeindruckend gespielt im Camp Nou. Kyriakos Papadopoulos hatte die Rheinländer nach einem Fehler von Torhüter Marc-André ter Stegen in Führung geköpft (22.), woraufhin die Spanier mehr und mehr verzweifelten. Und das lag auch an der aggressiven, mitunter chaotischen, oft auf günstige Zufälle spekulierenden Spielweise der Leverkusener, die eine Art Gegenmodell zu Barcelonas Ballzirkulationsspiel darstellte. „Es war ein schwieriger Abend, Bayer hat auf gutem Niveau gespielt, wir hatten einige Probleme“, räumte Barca-Trainer Luis Enrique ein, und Kollege Schmidt meinte: „Hier haben wir unsere Spielweise überprüft, es war eine Chance, daran zu wachsen.“
Christoph Kramer
Das Gefühl mithalten zu können, ist ein kostbares Mitbringsel, das Bayer aus Barcelona mit in den Herbst mit seinen vielen wichtigen Spielen nehmen kann. Allerdings haben sie auch die Erkenntnis im Gepäck, wieder einmal unter den eigenen Möglichkeiten geblieben zu sein. „So vermessen das klingt, wir müssen dieses Spiel heute gewinnen“, sagte Kramer, der glaubt, dass die Phase zwischen der 50. und 60. Minute entscheidend gewesen sei.
Da hatten die Leverkusener viel versprechende Kontersituationen, und der in vielen Momenten fehlerhaft spielende Mexikaner Chicharito vergeudete eine Chance, die ein derart hoch gelobter Stürmer in solch einer wichtigen Partie eigentlich nicht vergeben darf. Nicht die bessere Mannschaft gewann am Ende, entscheidend waren die besseren Individualisten. Für Sergi Robertos klassisches Abstaubertor zum 1:1 (80.) benötigte der FC Barcelona noch viel Glück, den Siegtreffer durch den bis dahin blassen Luis Suárez 93 Sekunden später war dann Weltklasse. „Es gibt vielleicht fünf Spieler auf der Welt, die den so in den Winkel schießen“, sagte Kramer, dessen Gesamtbilanz dann doch eher kritisch ausfiel: „Wir hatten zehn Scheißminuten, und dann nimmst du eben nur Scheiße mit.“
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