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Hausbesuch Sie ist gebürtige Chinesin, er Deutscher, die Kinder sind beides, und der Alltag ist auch okay„Ich will hüpfen“

Die Plöderls – eine dynamische, binationale Familie

Von Susanne Messmer (TEXT)UND Amélie Losier (FOTOS)

Zu Besuch Bei Pei Ling Chung (39), Marjan Plöderl (44) und ihren Töchtern Yoko Lena (7) und Eni (4) im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg

Draußen: Wilhelminische Mietskasernen mit Backsteinfassaden, die unter Denkmalschutz stehen, dazu offene, große, grüne Höfe, früher zur Selbstversorgung gedacht. An diesem verregneten Spätsommernachmittag zeugen die herum stehenden Rutschautos, Lauf- und Fahrräder von den kinderreichen Familien, die hier noch vergleichsweise günstig wohnen können.

Drin: Eine große Altbauwohnung mit langem Flur, abgezogenen Dielen, gespachtelten Wänden. Miete: 800 Euro warm. Im größten Zimmer, dem der Kinder, liegen viele Spielsachen, Bücher, Stofftiere herum. Manches „Made in China“. In der Küche gibt es die einzige, konkrete Erinnerung an Taiwan, das Land, in dem Pei Ling aufwuchs: Es sind auf Leinwand abgezogene Fotos eines Straßenmarktes, die Marjan dort gemacht hat und mit denen er Pei Ling überraschte. Sie war während des Umzugs in die neue Wohnung vor fünf Jahren bei den Eltern in Taiwan, und als sie zurückkam, war die Wohnung inklusive neuer Einbauküche und Wanddeko fertig eingerichtet.

Was macht er? Er ist Grafikdesigner. Nach 12 Jahren als Freelancer kam vor Kurzem die Festanstellung. „Um mal wieder in einem beständigen Team arbeiten zu können.“ Und: „Aus Sicherheitsgründen“. Nach wie vor arbeitet er eher als Entwickler: interaktives 3-D, Ios Apps, Virtual Reality, Animationen und Design.

Und sie? In Taiwan arbeitete sie als Designerin für Modemagazine wie Mens Uno und Madame Figaro, vergleichbar mit Mens Health und Vogue. Heute schreibt sie für diese Magazine eine Kolumne über Berliner Themen: Berlinale, Modemessen, neue Restaurants, der „Münchhausen-Flughafen“ oder taiwanische Start-ups. Seit Kurzem macht sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau; die Jobsuche als Grafikdesignerin war zu schwer, sagt sie, wegen Sprachproblemen, und dann mit Kindern.

Wer denkt was? „Was koche ich heute?“ (Marjan) „Ist es eigentlich gesund, immer in zwei Etappen zu schlafen?“ (Pei Ling) „Ich will heute keine Hausaufgaben machen.“ (Yoko) „Ich will hüpfen!“ (Eni)

Fotos helfen, sich zu erinnern

Pei Ling: Geboren in Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt der Republik China auf Taiwan. Eine Schwester, ein Bruder. Der Vater war Ranger in einem Nationalpark, die Mutter Bankkauffrau. Pei Ling: „Mittelschicht.“ Heute lebt die Schwester in Schanghai, die Eltern sind Rentner und man sieht sich alle paar Jahre.

Marjan: Geboren in Bremerhaven, wuchs als Halbwaise mit seiner Schwester auf. Wenig Geld, selten Urlaub. „Aber Mama hat das Leben organisiert und für uns alles gestemmt, was menschenmöglich war.“ Studiert hat er in Hildesheim und den USA. 2006 bekam er einen Job als „Europäischer Design- und Marketingberater“ in Taiwan und traf dort Pei Ling.

Kennenlernen? „Die ersten ­Dates waren seltsam, weil sie immer eine halbe Stunde zu spät kam.“ (Marjan) „Ich fand es gleich sehr schön, weil er so geduldig war.“ (Pei Ling) „Wir sind die ganze Zeit mit dem Scooter durch Taipeh gerast, und der hat immer mit dem Vorderrad abgehoben, weil Pei Ling vorne zu leicht und ich hinten zu schwer war.“ (Marjan)

Alltag: Wenn Pei Ling arbeitet, muss sie um 6.20 Uhr aus dem Haus. Marjan gegen 7. Vor der Arbeit müssen sie die Kinder wecken, Frühstück machen. Dann „der verzweifelte Versuch, die Mädchen anzuziehen“, danach wird eine in die Schule, die andere in die deutsch-chinesische Kita gebracht. Pei Ling holt die Kinder nach der Arbeit um 16.30 Uhr wieder ab, Verabredungen auf dem Spielplatz, nach Hause trödeln, gegen 19 Uhr zusammen essen. Dann „der verzweifelte Versuch, die Kinder gegen acht ins Bett zu bringen“, was meist gegen halb zehn gelingt. Oft schläft Pei Ling mit den Kindern ein, steht nach Mitternacht wieder auf und schreibt ihre Kolumne. Marjan kocht gern und viel, auch Chinesisch.

Sprechen: Die Familiensprache ist Deutsch. Pei Ling redet mit den Töchtern konsequent Chinesisch. Yoko geht samstags in einen Chinesischkurs, um auch ein bisschen Schreiben zu lernen. Marjan: „Als die drei letztes Jahr nach zwei Monaten Urlaub in Taiwan zurückkamen, wollte Eni nicht mehr mit mir Deutsch sprechen.“

Essen hält Leib, Seele und die Kulturen zusammen

Heimweh oder nicht? „Berlin ist mein Zuhause, ich habe hier auch wegen der deutsch-chinesischen Kita viele Freunde, es ist die beste Stadt für Kinder. Den Rest mache ich per Skype.“ (Pei Ling)

Was ist Glück? Pei Ling: „Wenn ich nach Hause komme und Marjan den Haushalt gemacht hat.“ Marjan: „Wenn die Kinder nach Hause kommen, was Schönes erzählen und das Essen mögen, das ich gekocht habe. Aber interessiert das jemanden?“ Vielleicht eher das: „Ich war sehr glücklich bei der Geburt meiner Töchter. Yoko Lena müsste nach chinesischem Denken ebenfalls ein echter Glückspilz sein.“ Warum? „Geboren am 7. 8. 2008 um 8.15 Uhr. Beinahe hätten wir den 8. 8. geschafft. Ihr Geburtsdatum hat mehrfach die chinesische Glückszahl 8.“

Wie finden Sie Merkel? Pei Ling: „Es ist gut für ein Land, eine Frau an der Spitze zu haben. Ich bin stolz darauf, eine Kanzlerin zu haben.“

Sie möchten auch zu Haus besucht werden und über Ihr Leben sprechen, dann schicken Sie eine Mail an: hausbesuch@taz.de

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