: Wollen wir jetzt Kuchen essen?
KINO Um Wolfgang Becker, den Regisseur von „Good Bye, Lenin!“, war es lange Zeit still. Mit seinem neuen Film „Ich und Kaminski“ erkundet er den Kunstbetrieb
von Anke Leweke
Zu Beginn hüpft das Herz höher. Der liebevoll versponnene und kunstfertige Vorspann ist ein einziges Versprechen. Kurz und knapp umreißt er in der Manier einer Wochenschau das Leben des fiktiven Malers Manuel Kaminski, der neben den Großen der moderne Kunst bestehen konnte. Einkopiert sieht man den noch jungen Mann in den bekannten Aufnahmen von Henri Matisse’ Atelier sitzen, später gehört er zu den gern gesehenen Gästen in Andy Warhols Factory im New York der sechziger Jahre. Kunstkritiker kommen zu Wort, reflektieren Kaminskis Freundschaft zu Picasso und das besondere Markenzeichen des Malers mit der dicken Sonnenbrille: „Painted by a blind man“.
Fake, Fälschung oder Wahrheit – zwölf Jahre nach dem weltweiten Erfolg von „Good Bye, Lenin!“ bleibt Wolfgang Becker seinem Thema treu, nur unter umgekehrten Vorzeichen. In der melancholischen Wendekomödie ließ das von Daniel Brühl gespielte Muttersöhnchen die DDR weiterleben, um seine kranke Mama vor einem Kulturschock zu bewahren. Nun gibt Brühl in der Verfilmung von Daniel Kehlmanns Bestseller „Ich und Kaminski“ den selbsternannten Kunstkritiker, der Kaminskis Biografie der Fiction überführen will: Was wäre, wenn Kaminski gar nicht blind und seine Augenkrankheit nur eine Werbemaßnahme gewesen wäre? Dann wäre Brühls Figur namens Sebastian Zöllner eine Legende in der Kunstkritik! Es ist Eile geboten, der einsam in den Schweizer Alpen lebende Kaminski ist ein greiser Mann.
Kehlmanns etwas lapidare Kritik am Kunstjournalismus, an den Strategien des Markts, am Snobismus der Szene, die in dem Plot um Zöllners vermeintliches Enthüllungsbuch angelegt ist, wird im Film zum Glück von Zöllners selbstherrlichem Gehabe überspielt. Hemmungslos gibt Brühl ein Arschloch wie aus dem Bilderbuch. Aus dem liebenden Sohn mit Babyface ist ein monströser Typ mit ungepflegtem Bart und Schweißflecken unterm Arm geworden, der sich mit zynischer Überheblichkeit durchs Leben schlägt. Und durch die Schweizer Berge.
Mühsam schleppt sich Zöllner den Wanderweg zu Kaminskis Villa hoch. Es sei die einzige Möglichkeit, dorthin zu kommen, wurde ihm von seiner Hotelwirtin mitgeteilt. Oben angekommen, sieht er, wie ein Auto die andere Seite des Bergs auf einer gut ausgebauten Straße verlässt. Zöllner flucht, der Zuschauer lacht. Immer wieder wird der Film seinen Helden der reinen Schadenfreude aussetzen. Unbefangen oder frei von jedem Feinsinn, das liegt ganz im Auge des Betrachters. In einer ausgedehnten Slapstickszene rutscht Zöllner auf Kuhfladen aus und schlittert gegen einen Elektrozaun. Beim nächtlichen Druckablassen an einer Hausecke wird er von Autoscheinwerfern angestrahlt.
Auch seinen zweiten Helden etabliert Wolfgang Becker nicht als klassische Identifikationsfigur. Mit gebrochener und dennoch eindrücklicher Stimme gibt Jesper Christiansen den exzentrischen Maler, der sich in seinem eleganten bordeauxfarbenen Bademantel und hinter der überdimensionalen Sonnenbrille häuslich eingerichtet hat. Wenn es schon keine Sympathieträger gibt, muss Spannung zwischen den Figuren aufgebaut werden. Gemeinsam mit Zöllner arbeitet sich der Zuschauer an dem undurchdringlichen Gesicht des Künstlers ab. In manchen Momenten wirkt er wie die Marionette seiner Tochter, die seine Geschäfte führt. Doch ausgerüstet mit einem bemerkenswerten Starrsinn, ist er wieder ganz Herr der Lage. Erinnert sich noch jemand an die Doppelabbildungen berühmter Gemälde in Programmzeitschriften? Einmal als Original, einmal mit kleinen Abweichungen? In „Ich und Kaminski“ wirkt der Maler selbst wie ein solches Doppelbild, an dem man manchmal die Zeichen der Blindheit und manchmal deren Vortäuschung erkennt.
Um bei Kaminski zu punkten und dessen Sehvermögen zu testen, schnappt sich Zöllner den Jaguar und den alten Mann im Bademantel. Gemeinsam macht man sich auf die Suche nach dessen großer Liebe. Es ist eine Fahrt, die in die Abgründe des Kunstbetriebs führt und geradewegs in Zöllners Beziehungskrise, die wiederum für den Auftritt der wunderbaren Jördis Triebel sorgt. Und am Ende der beschwerlichen Reise wartet Geraldine Chaplin als Kaminskis Ex im spießigen Einfamilienhaus mit schönen Bonmots und Sandkuchen. „Früher war ich schön, davon gibt es jetzt nur noch Bilder. Wollen wir jetzt bitte Kuchen essen?“
„Ich und Kaminski“ ist eine Ansammlung origineller und verspielter Vignetten. Hin und wieder verliert der Film allerdings den Faden, der sie vernäht. Ein wenig unentschlossen, aber nicht unangenehm mäandert er dahin, zwischen einem Roadmovie, einer Slapstickkomödie, einer Läuterungsgeschichte, einer Satire. Letztlich ist für jeden etwas dabei. Vielleicht möchte „Ich und Kaminski“ so wie der Maler im Film seine Identität nie ganz preisgeben.
„Ich und Kaminski“. Regie: Wolfgang Becker. Mit Daniel Brühl, Geraldine Chaplin u. a. Deutschland/Belgien 2014, 120 Min.
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