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HUST In der DDR gab es viel weniger Allergikerals im Westen. Lag es an den Kohleöfen,den zugigen Fenstern oder am guten Essen?Gesünder lebenin Bitterfeld

Diese Kinder sind vielleicht schmutzig, aber allergiefrei Foto: Paul Langrock/Zenit

von Kathrin Burger

Kurz nach der Wende ging die junge Wissenschaftlerin Erika von Mutius aus München in die neuen Länder. Sie ging ins Chemiedreieck Merseburg/Halle/Bitterfeld, denn dort fand sie perfekte Arbeitsbedingungen für ihre Forschung: verpestete Luft durch den Braunkohletagebau und durch Chemiefabriken wie die Leunawerke. Der Smog in Bitterfeld wurde als „englischer Nebel“ bezeichnet und war voll mit Schwefeldioxid und anderen Stoffen. Für van Mutius war es der ideale Ort, um zu untersuchen, wie sich die Luftverschmutzung auf die Gesundheit von Kindern auswirkt.

Da es zu Asthma bis dato wenig epidemiologische Forschung gab, konzentrierte sie sich auf das Asthma-Risiko. Sie erwartete, dass dort, wo regelmäßig Dreck aus den Industrieschloten aufstieg, mehr asthmatische und allergische Kinder und Erwachsene lebten. „Doch erstaunlicherweise gab es dort sogar weniger Erkrankte“, erinnert sich die Wissenschaftlerin, die heute an der LMU München forscht und lehrt. Auch Heuschnupfen und Nahrungsmittelallergien waren in der DDR zahlenmäßig kaum von Bedeutung. Dafür gab es mehr Atemwegserkrankungen wie Bronchitis – eine Folge der Industrie-Emissionen.

Heute, 25 Jahre nach der Wende, haben sich die Bundesländer bei den Allergien angeglichen. Nur Menschen, die schon vor der Wende im Osten auf die Welt kamen, sind auch jetzt noch seltener von Allergien betroffen. Gemäß Zahlen des Robert-Koch-Instituts erkranken im Osten 23,5 Prozent der Erwachsenen einmal in ihrem Leben an einer allergischen Krankheit, im Westen sind es 31 Prozent.

Die Düsseldorfer Umwelt­epidemiologin Ursula Krämer untersuchte kürzlich, wie sich diese Unterschiede erklären lassen. So ist eine Wohnung, die mit Holz und Kohle beheizt wird, offenbar ein Schutzfaktor. In der DDR heizte man noch viel mit Einzelraumöfen und Kohlebriketts. Warum dies gegen Allergien hilft, ist aber unklar. „Wahrscheinlich gibt aber es keinen direkten Einfluss“, meint Krämer. Doch die Einzelraumheizung hat stärkere Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht zur Folge. Das könnte ähnlich wie eine Kneipp-Kur das Immunsystem stärken. Zudem war das Klima in den zugigen Wohnungen im Osten eher trocken, was Milben gar nicht mögen. In Westdeutschland waren Teppichböden weit verbreitet, die Fenster besser isoliert.

Möglich wäre auch, dass Kohle- und Holzheizung nur Anzeichen für einen traditionelleren Lebensstil in der DDR sind, der das Allergierisiko senkt. Das heißt: Es gibt viele Kinder, es wird weniger geraucht, die Ernährung ist anders. In traditionellen Familien wird viel selbst gekocht, die Zutaten stammen aus der Region und sind saisonal, Fertigprodukte sind selten.

Des Weiteren gab es in der DDR weniger Einzelkinder als jenseits der Mauer. In der DDR gingen 80 Prozent aller Kleinkinder in eine Krippe. Im Westen waren es 1990 nur zwei Prozent. Hier „impften“ sich die Kinder vermutlich gegenseitig durch ständige mikrobielle Kontakte sowie parasitische Würmer, die das Immunsystem abhärten. Nur Neurodermitis gab es im Osten häufiger als im Westen. Der Grund: Krippenkinder sind öfter von Ekzemen betroffen, die sich allerdings meist im Alter von sechs Jahren wieder gelegt haben.

Das oft gehörte Vorurteil, dass Impfen für die Allergie-Epidemie verantwortlich ist, wird durch die DDR-Studien entkräftet. Im Osten seien alle Kinder planmäßig durchgeimpft worden, sagt die Epidemiologin Krämer. „Im Westen aber ist die Keuchhusten-Impfung Anfang der 90er in Verruf geraten.“ Diese Impfung hat vermutlich einige Kinder im Osten vor Asthma bewahrt.

Dort, wo regelmäßig Dreck aus den Schornsteinen aufstieg, gab es ­weniger Erkrankte

Auch Fast Food, das es in der DDR nicht gab, wird als Risikofaktor für Asthma und Allergien diskutiert. Ob die unterschiedlichen Ernährungsweisen in Ost und West für das Erkrankungsrisiko eine Rolle spielen, ist aber nicht bewiesen. Die Münchener Wissenschaftlerin von Mutius fand bei ihren Feldstudien nur einen kleinen Unterschied: So aßen die Menschen nach der Wende im Osten mehr Margarine als in der DDR. „Wir vermuten aber, dass auch das nur ein Anzeichen für eine bestimmte Ernährung ist“, so Krämer. Auch exotische Früchte wie Kiwis gab es in Ostdeutschland einfach nicht – daher konnte sich auch keine Allergie dagegen entwickeln. Viele DDR-Bürger beackerten ihren Gemüsegarten und aßen so zwangsläufig regionale Produkte.

Nach der Wende änderten sich auch die Umweltbedingungen. Die Industrieregion Halle-Bitterfeld wurde umstrukturiert, der Braunkohletagebau stillgelegt. In den Wohnungen wurden moderne Heizungen installiert, die Kinderzahl schrumpfte. Es gab mehr Autos, die Abgaswerte für Stickoxide und ultrafeine Partikel erreichten bald die gleichen Konzentrationen wie im Westen.

Und noch eine Hypothese kursiert als Erklärung für die wenigen Allergien in der DDR: Allergien seien im Osten eine Luxuskrankheit gewesen, die niemand beachtete. Unter Wissenschaftlern ist diese Hypothese jedoch nicht etabliert.

Mit ihrer Besonderheit sind die DDR-Bürger nicht allein. Auch Studien an der russisch-finnischen Grenze zeigten erstaunliche Ergebnisse: Dort reagierten nur zwei Prozent der russischen Kinder in Tests auf Birkenpollen allergisch, auf finnischer Seite waren fast 30 Prozent betroffen. Ebenso sind die Amische im US-Staat Indiana, die eine vorindustrielle Lebensweise auf Farmen pflegen, kaum allergiegeplagt.

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