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Der Sound der verwalteten Welt

THEATER Alexander Riemenschneider inszeniert Kafkas unvollendeten Roman „Das Schloss“ als Rockkonzert mit der Kafka-Band. Und mutet dem Publikum zu wenig zu

von Philipp Böhm

Unablässig schreitet K. auf dem Laufband voran, rennt atemlos, stolpert und gelangt doch immer wieder nur an den Ausgangspunkt. Die Müdigkeit ist ihm anzusehen, doch er zwingt sich weiter, während ihn im Hintergrund die Kafka-Band mit treibenden Riffs anfeuert. Er will die Fremde hinter sich lassen und ankommen, denn wie eine Drohung hängt die Auskunft über ihm, die Winter seien lang hier und auch im Sommer falle manchmal Schnee. Doch in Kafkas Texten reicht manchmal ein ganzes Leben nicht, um anzukommen. Gemeinsam mit dem tschechischen Schriftsteller Jaroslav Rudiš und einer Prager All-Star-Band inszeniert nun Alexander Riemenschneider dessen Romanfragment „Das Schloss“ – als Rockshow.

Der Beginn der Erzählung ist bekannt: Als Landvermesser ist K. in einem verschneiten Dorf eingetroffen, nur um zu erfahren, dass dort kein Landvermesser benötigt wird. Von den Dorfbewohnern erhält er so wenig Unterstützung wie von seinen Gehilfen, die zudem behaupten, von Landvermessung keine Ahnung zu haben. Über allem thront das Schloss, wo K. vielleicht eine Lösung finden könnte. Es zu erreichen scheint jedoch ausgeschlossen, gerade für K., den Fremden. Die Nachricht ist so klar wie brutal: „Sie sind nicht aus dem Schloss, Sie sind nicht aus dem Dorfe, Sie sind nichts.“ Hoffnung gibt ihm ein Brief des Beamten Klamm, der ihn scheinbar in seine Dienste aufnimmt. Wenig später stellt sich der Brief als bedeutungslos heraus.

Auf vier Schauspieler (Johannes Kühn, Guido Gallmann, ­Alexander Swoboda und Gast Franziska Schubert) ist die Rolle des K. verteilt. Zusammen mit der siebenköpfigen Band wird es da manchmal eng auf der Bühne. Mal unterbrechen die Songs das Geschehen, mal wirken sie eher als Kommentar im Hintergrund. Während vorn K. der nächsten Spur hinterherrennt, raunt Rudiš düstere Textpassagen ins Mikrofon: von Schnee und undeutlichen Konturen. Dann treten die Schauspieler selbst ans Mikrofon. Die Band begleitet das Schauspiel nicht nur, sie ist eingebunden, wird einmal sogar von Alexander Swoboda durch ein Megafon angeschrien. Zu viert bringen die Schauspieler die Facetten der Figur K. zum Vorschein: mal am Telefon tobend, dann hart und beherrscht den Gehilfen gegenüber. So wird ein komplexes Bild des Scheiterns entworfen, in dem keine Strategie zum Ziel führt.

Trotz aller Mühen bleibt das Schloss undurchschaubar. Immer aufs Neue wird das Geschehen durch Variationen des Romaneinstiegs unterbrochen, wird auf Anfang gespult: „Es war bereits spät abends, als K. ankam.“ Fortschritt ist nicht zu verzeichnen. Der Einzelne steht vor einer Wand, die Gesellschaft heißt. Erst am Schluss wird sie sich kurz öffnen und ein Beamter eine Disco-Kugel hinaustragen, stellvertretend für die Hoffnung auf Zugehörigkeit, die zugleich verspottet wird. Doch da hat die Müdigkeit schon ihren Tribut gefordert. Lediglich die Band antwortet noch den Erklärungen der Bürokratie in einem langsamen Refrain. K. scheitert daran, die verquere Logik zu durchdringen, der Dorf und Schloss unterworfen sind. Er scheitert aber auch als Mensch: Um vorwärts zu kommen, manipuliert und benutzt er andere, wie es ihm gerade passt. Ein reines Opfer ist er nicht, der sich schnell auf die Regeln der verwalteten Welt um ihn einlässt.

Das Besteigen einer Mauer erscheint K. als Mondlandung

Dass Riemenschneiders Inszenierung die Komik dieser Welt betont, ist eine ihrer Stärken: Die wahnwitzigen Kommunikationswege innerhalb der Behörden, bei denen man den gewünschten Beamten am ehesten erreicht, wenn man einen anderen anruft, oder Klamm, dessen Geliebte Frieda das Privileg eines Gucklochs erhält, durch das sie ihm beim Trinken zusehen kann, sind schon in der Vorlage zum Lachen absurd. Die Inszenierung setzt noch einen drauf: Das Besteigen einer Mauer erscheint K. als Mondlandung, bei der Aussicht auf Kontakt zu einem Beamten des Schlosses feiert er sich als Übermensch.

Dieser Steigerung ist auch die Musik verpflichtet. Mal verspottet sie den Landvermesser, als dieser am Telefon verzweifelt, mal baut sie sich drohend auf wie ein Klang gewordenes Hindernis. Das Konzept „Kafka als Rockshow“ erweist sich als erstaunlich rund. Und doch bleibt die Frage, ob die Geschichte durch diese Emotionalisierung nicht einiges verliert. Denn so eindrucksvoll die Untermalung von K.s Hoffen und Bangen durch düster walzende Gitarrenrhythmen sein mag – sie bleibt erträglicher als die wirklich unangenehmen Dialoge der Vorlage in Reinform, die ihre Wirkung gerade dadurch erhalten, dass sie so skelettiert sind. So wirkt auch die Inszenierung dort am stärksten, wo sie Kafkas Understatement vertraut und es nicht zu überbieten versucht. Dass dem Publikum jedenfalls allzu viel zugemutet wurde, kann man nicht sagen. Am Schluss klatschte es begeistert den Takt mit, als die Kafka-Band für eine Zugabe an ihre Instrumente zurückkehrte.

weitere Vorstellungen: Samstag (heute), Freitag, 2. Oktober, Mittwoch, 7. Oktober, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz

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