: Einsatz zwischen Trümmern und Tränen
Erste Hilfe Nach dem Erdbeben vor wenigen Monaten kam ein notfallpädagogisches Kriseninterventionsteam nach Nepal
Von Ansgar Warner
Im April des Jahres 2015 erschütterte ein gewaltiges Erdbeben die Himalajaregion, ein weiteres in ähnlicher Stärke folgte kurz darauf im Mai. Vor Ort war zu diesem Zeitpunkt bereits ein notfallpädagogisches Kriseninterventionsteam der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners – die Teilnehmer erfuhren das zweite große Beben hautnah.
Die Katastrophe vom 12. Mai ereilte das 13-köpfige Team im Shanti Sewa Grisha in Tilganga/Kathmandu, einem Lepra-Hospital mit angeschlossenem Waisenheim und Waldorfkindergarten. „Alles begann zu beben, Ziegelsteine fielen vom Dach, Wassertanks barsten“, berichtet Walddorfpädagoge Bernd Ruf, der den Einsatz des Interventionsteams leitete.
Die Notfallhelfer wurden zu Notfallrettern und halfen dabei, die Kinder und Bewohner zu evakuieren. „Für Verletzte wurden Erste-Hilfe-Maßnahmen durchgeführt und desorientierte Menschen in akutem Schockzustand mittels Stabilisierungstechniken reorientiert und beruhigt“, beschreibt Bernd Ruf die Situation.
Parallel dazu habe man mit notfallpädagogischen Interventionen begonnen, an insgesamt weit mehr als 150 Kindern: „Rhythmus- und Bewegungsübungen im Kreis, körpergeografische Übungen und erlebnispädagogische Aktivitäten führten zu einer Lösung der traumatischen Schockstarre.“
Noch schlimmer als die Städte hatte das schwere Erdbeben die abgelegenen Dörfer in den Bergregionen Nepals getroffen. Viele wurden durch Bergrutsche und Geröllabgänge verschüttet. Schwere Schäden trug auch Bimdhunga davon, ein kleines Dorf nördlich von Kathmandu. In der dortigen Dorfschule bot das Team der Freunde der Erziehungskunst in Kooperation mit der nepalesischen Organisation „Read Nepal“ Notfallpädagogik für täglich 350 Kinder an.
„In Akutinterventionen können durch Steuerung der Augenbewegung Flashbacks unterbrochen oder durch Atemverlangsamung Panikattacken gemildert werden“, beschreibt Ruf die Tätigkeit der Helfer vor Ort. Durch behutsame Veränderung traumatischer Träume im gemeinsamen Gespräch ließen sich wiederkehrende Albträume verändern. „Auch zwanghaftes, traumatisches Spiel lässt sich durchaus positiv beeinflussen, in dem der Pädagoge und das Kind gemeinsam nach kreativen Lösungsmöglichkeiten suchen“, so Ruf, der langjährige Erfahrung als Experte für anthroposophische Trauma-Therapie hat.
Hilfreich seien etwa Bewegungsspiele, um der lähmenden Bewegungsunlust entgegenzuwirken und die Traumata-Verarbeitung zu unterstützen. Neben Musik und Tanz seien aber auch Malen und Zeichnen als kreative Ausdrucksmittel geeignet. Wichtig scheint zudem der Wiederaufbau einer rhythmisierten Tagesstruktur: „Ritualisierte Abläufe geben neuen Halt, Orientierung und Sicherheit“, so Ruf.
Die notfallpädagogische Krisenintervention der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners in Nepal brachte am Ende vorzeigbare Ergebnisse: „Insgesamt konnten annähernd 2.000 Kinder an insgesamt zwölf Interventionstagen notfallpädagogisch betreut und etwa 60 Pädagogen in Notfallpädagogik fortgebildet werden“, so Einsatzleiter Bernd Ruf.
Nach der Krisenintervention im vergangenen Frühjahr folgte inzwischen die Nachsorge. Bis Anfang September hielt sich erneut ein Team von Pädagogen und Therapeuten in der Himalajaregion auf, um weitere Hilfe zu leisten. Dabei bildeten sie außerdem lokale Fachkräfte in Methoden der Notfallpädagogik aus.
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