: Mut zu eigenen Geschichten
Adrienne Woltersdorf kam nach den Anschlägen des 11. September 2001 zum Berlin-Teil. Und sie war mittendrin in der Multikulti-Debatte der Stadt. Berichte über kaputte Ampeln, meint sie, könne man ruhig anderen Zeitungen überlassen
Seit ich Journalistin bin, will ich zur taz. Deshalb habe ich auch eine sehr gute Stelle bei der Frankfurter Rundschau aufgegeben, als sich die Chance bot, Ressortleiterin des Berlinteils zu werden. Mein Start bei der taz fiel mit dem 11. September 2001 zusammen, als in den USA die Anschläge passierten. Dieses weltbewegende Ereignis hat auch im Lokaljournalismus ein neues Kapitel eröffnet. Plötzlich waren wir mittendrin in der Debatte: Wie ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Deutschen. Wie steht es mit Integration und offener Gesellschaft? Auch die Sicherheit in Berlin war fortan ein großes Thema, obwohl bislang zum Glück nichts passiert ist.
Der taz-Berlinteil hat es geschafft, sich dem Thema Migration aus allen erdenklichen Perspektiven zu nähern. Ein gutes Bespiel ist unsere Islam-Serie, für die die zuständige Redakteurin den 1. Preis im Journalistenwettbewerb – „Auf gleicher Augenhöhe. Interkulturelle Öffnung als Zukunftsaufgabe“ – bekommen hat. Im Vordergrund stehen für uns keineswegs nur die türkischen und arabischen Migranten. Mit der Berichterstattung der taz über Polen ist es gelungen, die Außensicht auf Berlin zu transportieren.
Auch innenpolitisch war es eine sehr spannende Zeit. Auf die große Koalition folgte der rot-grüne Übergangssenat. Nach den Wahlen kam der Regierungswechsel zu Rot-Rot. Als ich zur taz kam, war gerade der Bankenskandal aufgedeckt worden. Damit war es endlich gelungen, den CDU-Filz um Rüdiger Landowsky aufzulösen. Die taz hat den Abgang Landowskys aus der Politik mit einem DIN-A3-großen Starschnitt gefeiert: Jeden Tag konnten die Leser ein weiteres Stück ausschneiden. Als alle Teile zusammengesetzt waren, war Landowsky sprichwörtlich fertig.
Mein Plädoyer für den Berlinteil ist immer gewesen: Mut zur Lücke. Konzentrieren wir uns auf den besonderen Blick, in dem wir über Geschichten berichten, die uns am Herzen liegen.
Ein gelungenes Bespiel dafür sind auch die Montagsinterviews. Die Berichterstattung über Baustellen, Staus und kaputte Ampeln kann die taz getrost anderen Zeitungen überlassen. ADRIENNE WOLTERSDORF