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Archiv-Artikel

Historisch korrektes Flanieren

SCHLOSSPLATZ IN STEIN

Stocksteife Herren mit schwarzen Zylindern überqueren das Kopfsteinpflaster

Wieder haben sich die Freunde von Kitsch und Tradition durchgesetzt. Das Humboldt-Forum mit der „historischen“ Schlossfassade bekommt einen Schlossplatz wie anno dunnemals, davon ist auszugehen. Zwar sieht der Siegerentwurf zur Schlossumgebung, den die Wettbewerbsjury am Mittwoch präsentierte, einen schlicht gepflasterten Platz ohne Schnickschnack vor. Doch ausgewählt wurde dieser Plan, weil er „viel Spielraum“ für Änderungen lasse, wie Schlossbauherr Manfred Rettig erklärte.

Nun ist es kein Geheimnis, was die Fans des historischen Schlosses damit meinen, und sie haben es erneut ausposaunt: Sie wollen einen Platz, auf dem der alte Schlossbrunnen friedlich plätschert und die beiden Rosse mit ihren Bändigern – zwei hübsche Bronzeskulpturen, die derzeit im Schöneberger Kleistpark stehen – wieder wilhelminische Strenge verbreiten.

Ist nun alles in Butter in der bald von allen Kriegs- und DDR-Wunden geheilten historischen Mitte Berlins? Nehmen wir sie beim Wort, die Freunde der guten alten Kaiserzeit. Die prämierten Pläne in der Hand, flanieren wir durch eine imaginierte Schlosslandschaft, wie es sie 2019 oder auch später geben mag. Wir biegen von der Karl-Liebknecht-Straße – nur kurz einen Gedanken auf das Zeitgemäße dieses Namens verschwendend – links zum Spreeufer ein.

Die Großstadthektik des 21. Jahrhunderts fällt beim Anblick einer Baumgruppe vor der verschnörkelten Schlossfassade von uns ab. Auf zwei Ebenen können wir hier am Wasser lustwandeln oder dem Rauschen der Trauerweide lauschen, die den alten Ort des Schlossgartens markieren soll. Auf dem südlichen Schlossplatz machen wir Rast am Neptunbrunnen und können uns lebhaft vorstellen, wie stocksteife Herren mit schwarzen Zylindern das Kopfsteinpflaster queren. Und gerade glauben wir noch hinter uns das Pferdegetrappel der kaiserlichen Kutsche gehört zu haben – als uns von der Schlossbrücke her dröhnender Autoverkehr in die Wirklichkeit zurückholt.

Denn so „historisch“ und nett die neue alte Mitte werden soll: Unter den Linden bleibe eine „Hauptverkehrsachse“, heißt es bei Rot-Schwarz. Weniger als Tempo 30 sei daher nicht drin. Warum nur sperrt man sich gegen eine verkehrsberuhigte Zone zwischen Lustgarten und Schloss, wie sie die Grünen fordern? Im Sinne der Flaneure wäre sie. Und historisch korrekt allemal. SUSANNE MEMARNIA