: Amerika ist einfach wunderbar
DROHT DAS DSCHUNGELCAMP? Der Fassbinder-Schauspieler und Regisseur Ulli Lommel inszenierte an der Volksbühne Berlin mit „Fucking Liberty“ seine etwas holprige szenische Liebeserklärung an die USA
VON TILMAN BAUMGÄRTEL
Um es gleich am Anfang klarzustellen: Ulli Lommel ist sicher ein feiner Kerl. Was man in Interviews mit dem Schauspieler und Filmregisseur liest, was man seiner Autobiografie, „Die Zärtlichkeit der Wölfe“, entnimmt, wie er da mit sanfter Stimme auf der Rampe der Volksbühne ins Mikrofon nuschelt – alles macht einen sympathischen Eindruck: einer, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann und dies ohne Eitelkeit oder Hochmut tut.
Lommel hat mit Rainer Werner Fassbinder und Andy Warhol Filme gemacht. Er war mit Iris Berben, Bianca Jagger und Anna Karina liiert. Françoise Sagan hat ihm das Trinken beigebracht, und in seiner Autobiografie berichtet er von Drogenexzessen und Begegnungen mit Romy Schneider, Truman Capote, Orson Welles, Brigitte Bardot, William Burroughs, Elvis Presley, Richard Hell und und und. Dass er in den letzten Jahren sein Geld in den USA mit billigen Horrorfilmen verdient hat, die so schlecht sind, dass sie umstandslos auf DVD veröffentlicht wurden – Schwamm drüber, andere Menschen aus dem Umfeld von Fassbinder und Warhol haben ein viel schlimmeres Ende genommen.
Ulli Lommel hat seine Ausschweifungen überlebt und scheint im Rentenalter zu einem entspannten, freundlichen älteren Herrn gereift zu sein. Man freut sich für ihn und wünscht ihm noch ein paar interessante Regieaufträge, oder einen Gastauftritt im nächsten Tarantino-Film, und auch sonst alles Gute. Eines aber wünscht man ihm nicht: die Gelegenheit, ein selbst geschriebenes und inszeniertes Theateressay über seine Wahlheimat USA an einem deutschen Theater zur Aufführung zu bringen. Leider hatte genau das am Donnerstag an der Volksbühne seine Uraufführung: „Fucking Liberty!“, eine Art Nummernrevue über die USA. Was Lommel an den Vereinigten Staaten so gefällt? „Zweimal fuhren Warhol und ich mit dem Auto von New York nach L. A., und seitdem verstehe ich ein wenig davon, was Freiheit bedeutet. Es ist der Raum, der unendliche. Es sind Ideen, die durch diesen Raum entstehen“, steht im Programmflyer von „Fucking Liberty!“. Und von ähnlicher Reflexionstiefe sind dann auch die übrigen Gedanken über die USA, die Lommel in seiner Inszenierung in holprige Szenen, alberne Gesangsnummern und mäandernde Monologe kleidet. All das ist menschlich verständlich und sicher tief empfunden, aber leider vollkommen vergurkt.
Zu Beginn wird Lommel als Leiche von Michael Jackson im Sarg von einer Gruppe strapstragender schwarzer Krankenschwestern (!) zu Gospelklängen auf die Bühne getragen. Der Tote erhebt sich umgehend aus seiner Kiste und dirigiert gemeinsam mit Erich von Stroheim (Frank Büttner) eine zusammengeschusterte Show über die USA, die kaum ein Klischee auslässt. Vor einer Bühnendekoration (Bert Neumann) in der Form eines Micky-Maus-Kopfes treten auf und wieder ab: Bonny and Clyde, Marilyn Monroe, John F. Kennedy, Gloria Swanson, Truman Capote, Angela Davis, Nico, der Kasper und die Gretel und andere Vertreter des amerikanischen Traums, den „jeder Amerikaner lebt und stirbt“.
Inszeniert ist das Ganze in einem Stil, der nur wenige der sattsam bekannten Volksbühne-Manierismen auslässt. Es spielen unter anderem Sophie Rois, Kathrin Angerer, Volker Spengler, Jeanette Spassova und Lilith Stangenberg. Dazu dudelt eine Liveband Gassenhauer wie „Walk on the Wild Side“ und „Mongoloid“.
„Alles ist möglich in Amerika“, erfahren wir, dort kann „jeder seine Träume erfüllen“. Allerdings waren die Indianer schon lange vorher dort, weshalb man nicht davon sprechen kann, dass Amerika „entdeckt“ worden sei. In einer Szene erstickt ein Playboy-Bunny an einer Überdosis Popcorn, während im Hintergrund in einer Videoprojektion eine als Andy Warhol verkleidete Schauspielerin einen Hamburger verspeist. Autsch. Die Videoeinblendungen sind übrigens sämtlich in 3-D gedreht. Darum muss man immer wieder diese affigen Plastikbrillen aufsetzen. Das Ergebnis ist, wie bei den meisten 3-D-Filmen, eher ernüchternd. Am Ende erinnert Lommel uns noch an die amerikanischen Piloten, die während der Luftbrücke starben.
Mit diesem Spektakel ist niemandem gedient, am allerwenigsten Ulli Lommel. Der tut einem manchmal ein bisschen leid. Dürr, etwas klapprig, mit Udo-Lindenberg-Frisur und im Glitzer-Cowboy-Kostüm versucht er, uns mit naiver Begeisterung für seine Wahlheimat einzunehmen. Mit solchen Auftritten läuft er Gefahr, vom interessanten Superspezialfall der deutschen Filmgeschichte zum E-Promi zu werden. Manch anderer ist schon wegen weniger ins Dschungelcamp eingefahren.