: Die Bedürfnisse der anderen
VERNETZTE KULTUR Das Subsahara-Projekt des Goethe-Instituts will die afrikanischen Länder darin unterstützen, ihre jeweiligen Kulturanstrengungen untereinander zu verbinden
VON MEIKE JANSEN
Weißrote Flatterbänder riegeln die Straße vor dem Alexander Theater in Braamfontein, im Zentrum von Johannesburg ab. Hier, wo tagsüber in den Straßenschluchten zwischen den vielstöckigen Geschäftshäusern und sozialistisch anmutenden Wohnblöcken nahezu ausschließlich Schwarze unterwegs sind, findet die Eröffnung des vierten Weltgipfels für Kunst und Kultur statt. Hunderte Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten stehen auf der Straße, essen, trinken, begrüßen sich lachend und feiern, während PolitikerInnen Reden halten und ein Chor, der in der Fassade steht, das Publikum mit seinem Gesang die Hüften schwingen lässt.
Im Innern des Theaters holt die Gäste die Normalität allerdings schnell wieder ein. Denn die südafrikanische Kulturministerin Lulu Xingwana verlässt das Theater noch vor Ende der Uraufführung von „3 Colours“. Zu ihrem Missfallen haben zwei Südafrikaner, der Kurator und Regisseur Brett Bailey und der Choreograf Gregory Maqoma, ein Musik- und Tanzstück auf die Bühne gebracht, das, mal avantgardistisch distanziert, mal emotional und drastisch, von Völkerwanderung und Xenophobie erzählt. Dass der musikalische Leiter Mapumba Cilombo, der ursprünglich aus der Republik Kongo stammt, ein Team aus den verschiedensten afrikanischen Ländern, nur eben nicht aus Südafrika zusammengestellt hat, missfällt der Ministerin ebenfalls. Und gar nicht gefällt ihr, dass nirgendwo von der „happy rainbow nation“ Südafrika die Rede ist. Das bestätigt Annabell Lebethe vom National Art Council of South Africa, dem diesjährigen Ausrichter des alle zwei Jahre stattfindenden Kongresses, bei dem sich vornehmlich Abgesandte von staatlichen Kulturinstitutionen und ProjektleiterInnen internationaler Kulturorganisationen treffen und austauschen. Das Stück, das eigentlich noch fünf weitere Male gezeigt werden sollte, verschwindet also nach dem internationalen Event in der Giftkiste.
Keine schöne, aber eine anschauliche Steilvorlage für Peter Anders, den Leiter des vor zwei Jahren ins Leben gerufenen Subsahara-Programms des Goethe-Instituts. Es geht dabei um die Ausarbeitung eines programmatischen Schwerpunkts zur Förderung der kulturellen Zusammenarbeit der afrikanischen Länder untereinander. Nach einem Jahr Entwicklungszeit bedachte Frank-Walter Steinmeier das Vorhaben mit 650.000 Euro. Eine nahezu klägliche Summe, wenn man bedenkt, dass beispielsweise der Compagnie Sasha Waltz 2008 allein 875.000 Euro aus dem Berliner Hauptstadtkulturfonds zur Verfügung standen. Dazu muss das Budget von Peter Anders für zwei Jahre reichen, bis eine Evaluierung stattfindet und über den Fortgang des Subsahara-Programms entschieden werden kann. Keine einfachen Voraussetzungen für aufwendige und langfristige Projekte. Und genau die sollen die Basis bilden. Es geht vor allem um die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal und KulturproduzentInnen, um Materialbeschaffung, um die Initiierung und Förderung diskursiver Plattformen. Unüblich ist dabei, dass die Bedürfnisse der AfrikanerInnen im Mittelpunkt stehen und die deutsche Seite personell nicht involviert sein muss.
ARTerial Network
So lud man im Vorfeld des kulturellen Weltgipfels, das ARTerial Network, ein afrikanisches Netzwerk, in die Räume des Goethe-Instituts Südafrika nach Johannesburg ein. Das ARTerial Network wurde 2007 auf Goiree, einem ehemaligen Stützpunkt des Sklavenhandels vor der Küste Senegals, gegründet, zur Belebung der afrikanischen Kultur.
Das Bedürfnis nach einer Balance zwischen dem Erhalt des eigenen kulturellen Erbes und dem Austausch mit nichtafrikanischen Kulturen ist groß und ein diskursintensives Unterfangen. An den realen Gegebenheiten vorbeigeplante Hilfsprojekte will hier niemand mehr. Daher wird der Sinn von Stippvisiten afrikanischer Kulturprojekte im europäischen Ausland zunehmend angezweifelt, zumindest solange die KünstlerInnen in ihrem eigenen Land schlechte Arbeitsbedingungen haben und keine Akzeptanz erfahren. Dann werden auf die Dauer mehr und mehr Kulturmigranten geschaffen, und das eigene Potenzial wird ausgedünnt, wie nicht nur Joy Mboya, die Direktorin des „Performing & Visual Arts Centre“ in Nairobi, anmerkt. Noch ist sie eine der wenigen, die diese Dinge offen benennt.
Daher waren die ersten Aktivitäten, die aus dem neuen Topf finanziert wurden, Treffen für afrikanische FotografInnen parallel zu den auch international wichtigsten afrikanischen Kulturevents wie etwa der FotoFesta in Maputo, Mosambik oder der Foto Biennale in Bamako, Mali. Dort fanden dann für mehrere Tage Gespräche mit afrikanischen Kuratoren und Kunstkritiker statt wie dem in Kamerun geborenen Simon Njami oder der Gründerin und Direktorin des Center of Contemporary Art in Lagos, Bisi Silva. Der Kurzfilmwettbewerb „Latitude“ wird 13 Filme aus neun Ländern parallel zur nächsten Berlinale nach Berlin entsenden, die Geschichten aus Afrika, jenseits der Klischees von Aids, Armut und Krieg, zeigen. Trotz des recht überschaubaren Budgets hat das Goethe-Institut Südafrika in Johannesburg im März mit „Goethe.onMain“ einen Projektraum in Downtown installiert. Und selbst wenn, wie Peter Anders erzählt, einige der MitarbeiterInnen des Instituts noch Angst haben, diesen Teil Johannesburgs zu besuchen, und der Ort recht spartanisch wirkt, ist er schon jetzt zu einem wichtigen Zentrum geworden, an dem sich die multiethnischen Kulturszenen treffen, diskutieren und experimentieren. Ausstellungsorte gibt es nur wenige und frei finanzierte, unabhängige Räume noch viel weniger. Als einen solchen versteht das Goethe-Institut seinen Projektraum, dessen Programm über Ausschreibungen und Juryentscheide bestimmt wird, wobei alle Projekte dasselbe Budget zur freien Verfügung haben.
Konzeptionelle Dichte
Ein wichtiger Netzwerkpartner ist dabei der Market Photo Workshop, eine Fotoschule, die es FotografInnen ohne Ausbildung ermöglicht, mehr über ihr Metier zu lernen. Die konzeptionelle Dichte und die Brillanz der Arbeiten der AbsolventInnen, wie sie etwa beim gemeinsamen Ausstellungsprojekt mit Goethe.onMain zu sehen war (und nächstes Jahr in Deutschland zu sehen sein wird), verblüfft.
Genau wie die Geschichten, die die KünstlerInnen erzählen. Tracy Edser beispielsweise, die die Grenzen zwischen staatlicher und privater Krankenversorgung, zwischen Humanität und Entmenschlichung sowie der Pathologisierung des Andersseins anhand von Bildern aus einem Krankenhaus für psychisch Kranke in Soweto aufwirft. Oder Nonhalanhla Martin, deren farbenfrohe wie lebensbejahende Bilder alleinstehende Frauen in Townships zeigen, die nicht selten von ihren Männern verlassen werden, weil diese, in der Stadt gescheitert, den Rückweg zu ihrer ersten Familie auf dem Land antraten.
Neben den klassischen künstlerischen Genres fördert das Goethe-Institut auch Projekte wie die des Architekturbüros „26’10 Architects“, das sich weigerte, eine Straße in einer Township zu begradigen, weil informelle Architekturen und mit ihnen Geschäfte und Arbeitsplätze zerstört worden wären. Dank einer daraufhin erfolgten soziologischen Erhebung kann nun besser auf die Bedürfnisse und Erfordernisse der TownshipbewohnerInnen eingegangen werden, die bei künftigen Projekten in den Verhandlungen mit den Bauherren berücksichtigt werden sollen. Es ist ein Prozess in Bewegung geraten, der für alle Seiten eine neue, spannende Herangehensweise erkennen lässt.
Jenseits der Präsentation deutscher Kultur schlägt das Goethe-Institut nun in seiner Afrikaarbeit auch offiziell neue Wege ein – die freilich für manche der LeiterInnen gar nicht so neu sind, bislang aber zu selten im Fokus der Aufmerksamkeit standen. Deshalb reicht es Peter Anders zunächst, wenn mit dem schmalen Budget erste Schritte eingeleitet werden können. Wie es dann weitergehen wird, entscheidet in einem knappen Jahr der neue Außenminister Guido Westerwelle.