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Schnelldurchlauf durch die Evolution

Tanz im August Warum man tanzt – darauf gaben Produktionen aus Kanada, Australien und der Schweiz unterschiedliche Antworten. Marie Chouinard undihre Compagnie überzeugten

Man fühlt sich an Historiengemälde erinnert, aber alles gleitet ineinander über: Compagnie Marie Chouinard Foto: Nicolas Ruel/Tanz im August

von Katrin Bettina Müller

Das Kleine bleibt klein und erzeugt gerade dadurch eine große Intensität, mit der sich die Blicke des Zuschauers in die Körper der Tänzer und in das Vergehen der Sekunden hineinarbeiten – das passierte in „Meeting“, einem Tanzstück von Antony Hamilton und Alisdair Macindoe aus Australien, das am Wochenende im kleinen Studio HAU 3 aufgeführt wurde. Was klein war, wird vergrößert, überwältigend und fast monumental – das geschah in der Show der Compagnie Marie Chouinard aus Montreal, die vom Festival Tanz im August ins Haus der Berliner Festspiele eingeladen worden war. Beide Projekte überzeugten durch ihre visuelle Kraft und eine erfindungsreiche Bewegungssprache. Dennoch sind ihre Konzepte äußerst gegensätzlich.

Viruosität und Sexiness

Marie Chouinard, die ihre Compagnie mit einem Ruf von großer Virtuosität und Sexiness seit 25 Jahren leitet, präsentierte zwei Stücke: das grade erst entstandene „Soft virtuosity, still humid, on the edge“ und „Henri Michaux: Mouvements“. Beide sind von bildender Kunst inspiriert und weitere Schritte auf ihrem Weg, durch Verschiebungen, Verzerrungen, Verlängerungen, Dehnungen und Krümmungen die gewohnte Symmetrie des Körperschemas aufzuheben. Chouinards Ästhetik hat immer etwas von Taschenspielertricks, von Manipulationen des Körpers und des Zuschauerblicks, die auf das Überraschen und Staunen aus sind. Dies Kalkulieren auf den Effekt hin bringt durchaus oberflächliche Reize hervor; aber manchmal auch, wie an diesem Doppelabend, fantastische neue Seherfahrungen.

In „Soft virtuosity, still humid, on the edge“ verdoppelt ein Kamerabild, leicht verzögert und in vergrößerten Ausschnitten, was auf der Bühne passiert. Gesten wie Fingerzeige, ausgestreckte Hände, die doch nicht zur Berührung werden, gedrehte Köpfe, aufgerissene Augen erhalten in der Projektion eine dramatische Aufladung, die nicht ganz geheuer ist. Man fühlt sich an Historiengemälde und Heiligendarstellung erinnert, aber alles gleitet ineinander über; was eben noch Gewalt schien, ist jetzt Verzückung, was als Angst begann, rutscht in Ekstase. Mehrfach fährt in einer Sequenz eine Kamera das Panorama eines Gruppenbildes ab, in dem sich die Tänzerinnen und Tänzer nur äußerst verlangsamt bewegen und doch die verschiedensten Emotionen sich dicht an dicht drängen.

Spiel der Verwandlung

Ausgestreckte Hände erhalten eine dramatische Aufladung,die nicht geheuer ist

Die meisten Sequenzen des neuen Stücks sind hingegen wie auch „Henri Michaux: Mouvements“ von schnellen, hingeworfenen Bewegungen geprägt, ein Feuerwerk an Dynamik. In „Henri Michaux“ werden Tuschezeichnungen des Dichters und Malers aus seinem Buch „Mouvements“ (von 1951) abgebildet und körperlich nachgeahmt. Der Fleck, der Strich, der amorphe Charakter der spontanen Zeichnungen, der immer schon dem Organischen verwandt schien, aber in seiner Wandlungskraft auch von spiritueller Aufladung geprägt, blüht in der Interpretation der Tänzer auf. Das ist ein herrliches Spiel der Verwandlung, als sähe man einem gut aufgelegten Zellenpaket beim Schnelldurchlauf der Evolution zu. Und weil die Abbildungen immer mit präsent sind, der Kontext offenliegt, wirkt das Stück rundum begründet. Man tanzt eben, so scheint es hier, weil Leben Tanz ist.

Dabei ist, den Punkt zu setzen, aus dem heraus der Tanz sich entfaltet, oft die große Herausforderung der Choreografie. In dieser Hinsicht hatte man viel erwartet von Gilles Jobin und seiner Compagnie aus Genf, war doch ihrem Stück „Quantum“ ein Rechercheaufenthalt von Gilles Jobin am Kernforschungszentrum Cern in Genf vorausgegangen. Allein ihr Tanz war getrieben von einer trockenen Mechanik, von vielfachen Symmetrien und Körperschemata, die mehr an die geometrischen Körperbilder und die Technikbegeisterung der Bauhaus-Zeit erinnerten als an das gegenwärtige Verhältnis zwischen Mensch und Technik.

Das war viel besser auf den Punkt gebracht in „Meeting“, einem sehr fein gearbeiteten Tanz für eine Vielzahl von Maschinchen, die im Kreis aufgebaut sind und mit Bleistiften zart einen Takt klopfen, der für zwei Männer in ihrer Mitte alles in Informationen zu halten scheint, was ihnen zur Verfügung steht. Antony Hamilton ist der Choreograf der beiden, Alisdair Macindoe der Entwickler der Maschinchen und der Komponist. Sie sind gekleidet in weite Hosen und dunkle T-Shirts, zwei unauffällige Nerds. Als wären sie selbst nur Anhängsel einer durchgerechneten Welt, stoßen sich ihre Bewegungen an den programmierten Klängen ab, wird jedes Aufklappen eines Ellbogens, jedes Heben des Kinns wie auf Befehl abgestoppt. Ja, die tun so, als wären sie Roboter, die ja weder Geist noch Seele haben. Aber, und darin besteht der Witz, das ist bloß Tarnung in einem wunderbaren, aufeinander abgestimmten, detailliert gearbeiteten Duett zwei Männer.

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