Notizbuch der Ideen

TEXTILE BEWEGUNG Kunst und Mode gehen auf „Tuchfühlung“ in der gleichnamigen Ausstellung von Kostas Murkudis im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt

Installationsansicht der Frühjahr-/Sommerkollektion 2014, sichtlich eine Hommage an Franz Erhard Walther Foto: Jonas Lindstroem/Kostas Murkudis/MMK

von Shirin Sojitrawalla

Kopflose Körper, deren schmale Schultern zuweilen mit schweren Stoffen behängt sind, baumeln an seidenen Fäden von der Decke. Im Zwielicht fordert sie der deutsch-griechische Modedesigner Kostas Murkudis zum Tanz auf. Auf der linken Seite des Ballraums gesellt sich eines der klar strukturierten Stoffbilder von Blinky Palermo dazu, rechts dann drapiert Steven Parrino schwarze Lackfarbe auf groben Baumwollstoff.

Wo wir zuvor nur Farbe und Material wahrgenommen haben, gestaltet sich jetzt die Möglichkeit eines Kleides. Murkudis Entwürfe wiederum offenbaren im reizvollen Dialog mit den Werken namhafter bildender Künstler ihren Kunstcharakter. Er selbst spricht von „Architektur in Bewegung“. In seiner Schau „Tuchfühlung“ erzählt er von den vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Kunst und Mode.

Der 1959 in Dresden geborene Modeschöpfer griechischer Herkunft gehört seit Jahren zu den bekannten Grenzgängern seiner Zunft. Nach einer ersten Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK) vor fünf Jahren, schenkte er dem Haus drei seiner zwischen 2010 und 2012 entstandenen Kollektionen. Diese bilden nun den Ausgangspunkt seiner Schau, in der er seine Arbeit zu Werken aus der Sammlung des MMK in Beziehung setzt.

Seine mit dem iPhone geschossenen Bilder treffen hier etwa auf die im Backstagebereich entstandenen Fotografien von Juergen Teller bei Schauen von Helmut Lang, für den Murkudis lange arbeitete. Er preist darauf die unglamourösen Seiten des Glamours, während Mark Borthwick auf seinen Fotos die bordellhaften Allüren der Modewelt einfängt. Von seinen Smartphone-Schnappschüssen spricht Murkudis als einem „digitalen Gedächtnis“. Sie funktionieren wie ein Notizbuch, halten Formen, Momente, Ideen und Strukturen fest und taugen in ihrer Zusammenrottung als Inspirationsquelle. An anderer Stelle versammeln sogenannte Moodboards Stoff­proben, Fransen, Fotos, Zeitungsausschnitte und Gedanken­splitter.

Fotos, Fransen, Gedankensplitter

Die Pinnwände gleichen Mindmaps eines Modemachers, der sich an der Schnittstelle von Kunst und Mode bewegt. 1994 gründete er sein eigenes Label Kostas Murkudis, wobei er seit Jahren auch sogenannte Laborkollektionen entwirft, die sich jenseits ihrer kommerziellen Verwertbarkeit für die Modeindustrie verorten.

Seine Frühjahr-/Sommerkollektion 2014 widmete er dem Künstler Franz Erhard Walther, der in den 60er Jahren vom Betrachter auf vielfältige Weise zu benutzende textile Arbeiten schuf. Man sollte, konnte und durfte sie betreten, aufheben, am Körper tragen. Diesen, in Walthers „1. Werksatz“ formulierten Anspruch nimmt Murkudis beim Wort, indem er seine eigenen Unikate zu einer Bodeninstallation aus geometrischen Formen arrangiert. Auf zwei Bildschirmen läuft die dazugehörige Modenschau, in der eine Frau immer wieder den Raum betritt, sehr beiläufig eines der Stücke vom Boden aufhebt und anzieht. Ein Kreis mit einem schwarzen Quadrat darauf und drei Löchern darin ergibt so ein Kleidchen.

Gleich daneben hängt dann Timm Rauterts Fotoserie, die Walthers Werke dokumentiert. Dabei gehört es zu den Schönheiten dieser Schau, dass im Kopf der Besucher ganz eigene Dialoge loslegen: Mal drängt sich die Formensprache ­László Moholy-Nagys auf, mal die ­Laszivität bei Toulouse-Lautrec, mal Eva Hesses wahnsinniger Feinsinn für Materialität.

Die von Murkudis gewählten Dialogpartner sind übrigens ausschließlich Männer, was insofern erwähnenswert ist, als die erste Ausstellung in der neuen Dependance des MMK, dem MMK 2 an der Taunusanlage, sich unter dem Titel „Boom She Boom“ der Kunst von Frauen widmete.

Ein Kreis mit einem schwarzen Quadrat und drei Löchern ergibt ein Kleidchen

Der Kunstparcours im Ausstellungsdesign von Carsten ­Nicolai und Aaron Werbick überzeugt immer dann, wenn er die Wechselwirkungen von Kunst und Mode offenbart. Manch ein Raum bleibt verschenkt, wie die Kammer, in der zwei Overalls aus Nappaleder wie erlegtes Wild im Gehege liegen. Wer sie beschauen will, muss an einem dichten Vorhang vorbei hineinspähen und fragt sich danach, wozu.

Versteckt hängt auch eine ­Parade lichter Seidenkleider in allen Regenbogenfarben von der Stange. In ihrer Schmetterlingsflügelzartheit könnten sie für Alice im Wunderland gemacht worden sein. Im Museum veranschaulichen sie zudem den skulpturalen Charakter des Stoffes.

Damit spielt auch Sigmar Polke. Einer seiner Offset­drucke zeigt ein scheinbar achtlos hingeworfenes Stück Stoff und ­darunter das Versprechen: „Die Decke, in die sich immer wieder die Konturen einer weiblichen Figur falten.“

Die betörendste Arbeit wartet vor einem riesigen Leuchtkasten. Dort hängen Kleidungsstücke nach Art eines Mobiles und bieten sich feil wie Mädchen im Schaufenster: Büstenhalter, Strumpfhosen, Etuikleider, die Durchblick garantieren und vor erotischer Eindeutigkeit funkeln. Mit Hingabe gestaltet Murkudis hier den Zwiespalt zwischen Verhüllung und Entblößung.

Bis zum 16. Februar 2016, Museum für Moderne Kunst 2, Frankfurt am Main. Katalog (Prestel Verlag) 39,95 Euro