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Ein Monster vor Massachusetts

FILMKLASSIKER Mit Steven Spielbergs Film „Der Weiße Hai“ änderte sich das US-amerikanische Kino vor 40 Jahren gewaltig

Als im Sommer 1975 zum ersten Mal ein monströser Weißer Hai in die amerikanischen Kinos schwappte, ahnte niemand, dass Steven Spielbergs Gruselstück eine neue Hollywoodära einleiten würde.

„Der Weiße Hai“ galt als der kommerziell erfolgreichste Film seiner Zeit, bis George Lucas’ Sci-Fi-Saga „Krieg der Sterne“ ihm den Titel wegschnappte. Er machte Schluss mit dem Mainstream des gepflegten, eher technikorientierten Katastrophenfilms, in dem das Promi-Personal mit den Tücken einer aus dem Ruder laufenden Zivilisation kämpfte.

Schon in Spielbergs Action­thriller „Duell“ (1971) lieferten sich Trucker auf dem Highway äußerst bösartige gegenseitige Attacken. Ihre Riesenspielzeuge gerieten in der dialogarmen Inszenierung zu hybriden, quasi organischen Kampfmaschinen, die sich verselbstständigten. Auch „Der Weiße Hai“ appellierte an Urängste, hier mithilfe eines steifen mechanischen Tierkörpers, der als leerer Signifikant die Schleusen der Angstlüste von Millionen Zuschauern rund um den Erdball zu öffnen verstand.

Im April 1975 war mit der Eroberung Saigons durch den Vietcong der Krieg der Amerikaner in Vietnam in einem militärischen und moralischen Desaster zu Ende gegangen. Die Hippie-Bewegung, die weltweit eng mit den Antikriegsprotesten verbunden war, löste sich auf. Die Ära des New American Cinema hatte ein Jahrzehnt lang die Konformisten in Hollywood herausgefordert und Platz für neue Talente und Erzählformen beansprucht.

Mitte der 1970er Jahre war der Rausch vorbei. Auch die jüngere Regie-Generation suchte nach einem neuen Publikum. Francis Ford Coppola remythisierte mit seinen „Godfather“-Filmen und mit „Apocalypse Now“ das klassische amerikanische Leitmotiv patriarchaler Gewalt, Martin Scorsese nahm mit „Mean Streets“ die lange Reihe seiner psychopathologischen Milieustudien auf.

„Der Weiße Hai“ wäre ohne die Innovationskraft des New American Cinema nicht entstanden und steht doch zugleich für den Beginn des Sommer-Blockbuster-Phänomens, mit dem Hollywood das Ranking seiner Jahresproduktion immer neu zu überbieten versucht. David Brown und Richard D. Za­nuck, zwei clevere junge Produzenten, hatten sich die Rechte an dem gleichnamigen Bestseller von Robert Benchley gesichert. Bis heute spülte der Thriller fast 470 Millionen Dollar in die Kassen, und das bei maßvollen Herstellungskosten von nicht einmal 8 Millionen.

Der Plot um das tückische Seeungeheuer, das aus den Tiefen des Atlantiks aufsteigt, schloss an den Mythos des obsessiven Walfänger-Kapitäns Ahab in Herman Melvilles Klassiker „Moby Dick“ an – die Schullektüre und Ursprungskinoerfahrung vieler Amerikaner. Nicht zufällig ist eine Schwimmerin, die der Film zuvor mit ihrem Lover am Strand beobachtet, das erste Opfer des Mons­trums. An den Stränden von Massachusetts, wo Spielbergs Film angesiedelt ist, führte „Der Weiße Hai“ ein paar Jahre lang zum Rückgang des Tourismus.

Inzwischen ist der Kultstatus sakrosankt. Er hält nicht nur einen guten mittleren Platz in der Liste der hundert besten amerikanischen Filme, auch die Generation der Zuschauer, die sich als Jugendliche gern gegruselt haben, pilgert inzwischen an den mythischen Küstenstreifen, wo seither kein Weißer Hai mehr gesichtet wurde. CLAUDIA LENSSEN

„Der Weiße Hai“ gehört zum Programm „Hai-Alarm im Babylon“, das am 14. 8. beginnt und noch elf andere Wasserfilme einschließt. Mehr Infos unter www.babylonberlin.de/Hai-Alarmimbabylon.html

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