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Archiv-Artikel

Der Osten währt am längsten: Die Skeptiker und die Patenbrigade: Wolff versuchen ihn jedenfalls am Leben zu erhalten

Was vom Osten übrig blieb, außer Rammstein natürlich, das sind: einerseits die alten Helden, die sich mühen, die Ideen von früher in die Moderne herüber zu retten. Und die alte Ikonografie, die vom Nachwuchs in neuen Zusammenhängen wieder verwendet wird.

Wobei die Helden oft eher Überlebende sind. So wie Eugen Balanskat, der 2006 wieder einmal ein paar neue Menschen gefunden hat, die seinen überschnappenden Gesang mit hysterischem Punkrock unterfüttern wollen, und deshalb Die Skeptiker nach sechsjähriger Pause in ihrer geschätzten 94. Besetzung reformierte. Ab 1986 sang er gegen die DDR an, nun halt gegen das neue Deutschland. Einen großen Unterschied macht das auf „Fressen und Moral“, dem ersten Album seit elf Jahren, nicht. „Es gibt ein Gerechtigkeitsproblem“, diagnostiziert Balanskat, und erstaunlicherweise kann man diesen Satz sogar singen. Im Weiteren wird fleißig eingehauen auf diesen Staat, der „auf dem rechten Auge blind“ ist und in dem sich Faschisten tummeln, wird die soziale Kälte beklagt und der „Aufruhr“ propagiert. Das alles hört sich so alarmiert an wie eine Luftschutzübung und ist sicherlich ehrenwert und verdient, und einer muss es ja sagen. Es mag natürlich auch ein bisserl altbacken sein, aber eins muss man Balanskat immerhin zugute halten: Der Mann ist wütend. Und er hat ja auch recht.

Das allerdings, was Balanskat einst auf die Palme beförderte, gibt es nicht mehr. Die DDR ist keine niedliche Möchtegerndiktatur mehr, sondern nur mehr Freiwild für Kunstschaffende. Zu denen, die sich hemmungslos bedienen im mittlerweile weitgehend von seinen früheren Konnotationen befreiten, realsozialistischen Zeichenwald, gehört auch die Patenbrigade: Wolff. Das beginnt beim Namen und dass die beiden Genossen, Brigadier Sven Wolff und Brigadeleiter Lance Murdock, für ihr Album „Baustoff (Popmusik für Rohrleger)“ mit Stern-Rekorder in der Hand posieren vor einem allerdings eindeutig aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet stammenden Gabelstapler, und endet noch lange nicht bei Songtiteln wie „IM: Benecke“ oder „Luftzerlegungsanlage LZA“. Unterlegt wird dieses weitgehend entpolitisierte Potpourrie der von keinem historischen Gewissen belasteten guten Laune allerdings mit einem solch stumpfen Elektronikgeknüppel, dass Erich Honecker einmal im Grab rotiert und „Yeah, yeah, yeah“ stöhnt. Dabei korrespondieren die Industrial-Rhythmen fröhlich mit den Anspielungen auf die Arbeitswelt: Mit mehr als 100 Beats per Minute den Sozialismus aufbauen, das ist der Plan. Aber vor allem ist er launig, der Umgang mit den Codes aller Coleur, der Kapitalismus nicht wirklich in Gefahr.

Als Gastkommentator hat die Patenbrigade übrigens Mark Benecke gewonnen, den Kriminalbiologen und Sachbuchautor, der jeden Samstag auf Radio Eins lustige Anekdoten aus der Welt der Verbrechensaufklärung erzählt. Benecke schreibt auch für eine Zeitschrift, die Skeptiker heißt. Wenn da mal nicht alte Stasi-Seilschaften die Finger im Spiel haben. THOMAS WINKLER

■ Die Skeptiker: „Fressen und Moral“ (Rozbomb/Cargo), live am Sa. im SO 36

■ Patenbrigade: Wolff: „Baustoff (Popmusik für Rohrleger)“ (Zweieck), live am Sa. im K17