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Archiv-Artikel

Die guten Wessis vom Kollwitzplatz

PRENZLAUER BERG Heute vor 19 Jahren wurde mit der Kollwitzstraße 52 das erste Haus in Ostberlin versteigert. Gekauft haben es zwei sozial engagierte Künstler aus Hamburg. Sie verlangen noch heute niedrigere Mieten als der Schnitt – und ziehen eine vernichtende Bilanz der Sanierungspolitik des Senats

Die ursprünglich schon für 1991 geplante Einführung des Vergleichsmietensystems konnte erst im Juli 1995 realisiert werden. „Bis dahin war die Miete in der ehemaligen DDR gedeckelt“, erinnert sich Christoph Radke. Gut für die Mieter, schlecht für die Eigentümer

VON UWE RADA

Der erste Eindruck: Leben wie Gott am Kollwitzplatz. Aus dem Fahrstuhl geht es über den Dachgarten in die Wohnküche, dahinter schließen sich Ateliers an. Zur Kollwitzstraße erstreckt sich ein zweiter Balkon über die ganze Breite des Hauses, der Blick ist überwältigend. Nicolaus Schmidt und Christoph Radke haben sich über den Dächern des Prenzlauer Bergs auf 300 Quadratmeter einen Ort geschaffen, der alle Vorurteile von Luxus und Gentrifizierung zu bestätigen scheint. Ganz so, wie es die Mieter der Kollwitzstraße 52 befürchtet haben, als die beiden Künstler aus Hamburg am 11. Dezember 1990 ihr Haus ersteigerten – es war die erste Auktion in Ostberlin nach dem Fall der Mauer.

Über die Gesichter von Schmidt (56) und Radke (60) huscht ein Lächeln, als sie den Reporter empfangen. Sie wissen um den ersten Eindruck, den ihre Dachlandschaft hinterlässt. Dem Paketboten haben sie grade noch zugeraunt: „Kurz die Aussicht genießen“, bevor er über die Vorderhaustreppe wieder hinuntersteigt in die Prenzlauer Berger Normalwelt. Es ist diese Normalwelt, wegen der sie 19 Jahre nach der Versteigerung den Kontakt zur Presse gesucht haben. Und auch, weil sie die Geschichte ihres Hauses aufarbeiten und einiges zu sagen haben zur Sanierung des Prenzlauer Bergs.

Zu verbergen haben sie nichts. Anders als bei vielen Häusern in der Nachbarschaft liegen die Mieten bei Schmidt und Radke unter dem Durchschnitt des Mietspiegels. Sind aus den reichen Künstlern aus Hamburg die Robin Hoods des Prenzlauer Bergs geworden?

Radke blättert ein paar Fotos auf den Tisch. Bröckelnde Fassaden, auf der Straße Wartburgs, am Erdgeschoss ein verschämtes Besetzerzeichen. Das war nach der Versteigerung. Davor hingen an der Kollwitzstraße 52 Transparente mit Aufschriften wie „Kaufen auf eigene Gefahr“, „heute Kollwitzstraße 52, morgen ihr“, „Senat, kauf Du“. Grund der Aufregung war ein Auktionskatalog, den der Immobilienmakler Hans Peter Plettner in einer Auflage von 20.000 verbreiten ließ. Von einem „Modernisierungsobjekt“ in einem der „interessantesten Immobilienmärkte“ war da die Rede. Die damalige Reaktion der Mieter brachte Susanne Rothmaler, eine Psychologin, auf den Punkt: „Wir waren wie vor den Kopf geschlagen.“

Auch Schmidt und Radke hatten von der Auktion erfahren. Das Paar war wild entschlossen, von Hamburg nach Berlin zu ziehen und sich Atelierräume in einem Dachgeschoss in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg auszubauen. „Die Kollwitzstraße hat uns gereizt, weil wir hier schon vor der Wende Leute kannten“, sagt Schmidt und schiebt das lange Haar zur Seite. Zuvor aber haben sie das Gespräch mit den Mietern gesucht. „Damals war um die Mittagszeit natürlich jeder arbeiten“, sagt Schmidt. „Einer war aber da. Verschlafen hat er uns geöffnet, wir standen mit Palituch vor ihm, er hat gesagt, dass er schwul ist. Da war das Eis gebrochen.“

Alles im Einvernehmen

Sanierung ja, aber kein Luxus und alles im Einvernehmen mit den Mietern: Davon ließ sich eine halbe Stunde später auch die zweite Mieterin überzeugen, eine Ärztin, die nach der Schicht in der Klinik nach Hause gekommen war. Mit zwei Mietparteien im Rücken wollten es Schmidt und Radke wagen. Selbst hatten sie 18.000 Mark auf dem Konto, bei Freunden haben sie sich bis zum Auktionsabend 200.000 Mark telefonisch zusammengeborgt, auf einen Euroscheck schrieben sie das Mindestgebot von einer knappen halben Million. Nur so konnten sie bei Plettner überhaupt mitmischen.

Sechs Mietparteien waren schließlich in die Otto-Nuschke-Straße in Mitte gekommen. Sie und die Bieter hatten verabredet, so zu tun, als würden sie sich nicht kennen. Am Ende bekamen Nikolaus Schmidt und Christoph Radke den Zuschlag – der Hammer fiel bei 1,05 Millionen D-Mark.

Versteigerungen, Rückübertragungen, Modernisierungsankündigungen: Die Ängste der Mieterinnen und Mieter in den Ostberliner Altbauvierteln waren groß in den Monaten nach der Wiedervereinigung – und der Immobilienmarkt ein gleichermaßen heißes und hartes Pflaster. Die Durchschnittsmieten in Prenzlauer Berg oder Friedrichshain betrugen anfangs 60 Pfennig pro Quadratmeter, die politisch gewollte Anpassung an die Westmieten war von zahlreichen Protesten begleitet.

Die ursprünglich schon für 1991 geplante Einführung des Vergleichsmietensystems konnte erst im Juli 1995 realisiert werden. „Bis dahin war die Miete in der ehemaligen DDR gedeckelt“, erinnert sich Christoph Radke. Gut für die Mieter, schlecht für die Eigentümer, die die oft heruntergekommenen Häuser instandsetzen oder modernisieren wollten.

In der Kollwitzstraße 52 kam erschwerend hinzu, dass die Jewish Claims Conference Ansprüche angemeldet hatte. Die alte Dame, die das Haus zur Versteigerung gegeben hatte, hatte es von ihrem Vater geerbt. Der wiederum hatte es während der Nazizeit einer Jüdin abgekauft, die 1943 nach Lima geflohen war. Die Frage war nur: zu welchem Preis? Unter Verkehrswert? Das hätte Arisierung bedeutet. Oder zu einem fairen Preis? Dann wären die Ansprüche gegenstandslos. Es dauerte bis 1998, bis Schmidt und Radke schließlich im Grundbuch standen – Verkäufer war am Ende die Jewish Claims Conference. Die Forderzusage, das Haus mit den Mietern zusammen in Selbsthilfe zu sanieren, war zu diesem Zeitpunkt längst verfallen.

Ihre Geschichte und auch die ihres Hauses haben Nikolaus Schmidt und Christoph Radke inzwischen ins Internet gestellt. Und eine Abrechnung mit der Sanierungspolitik von Senat und Bezirk gleich dazu. „Die offizielle Politik lautete, die Eigentümer mit niedrigen Mietobergrenzen in die öffentliche Sanierungsförderung zu drängen“, sagt Schmidt. „Was aber, wenn es keine Förderung mehr gab?“

Um die Mietobergrenzen einhalten zu können, haben die Künstler versucht, die Souterrain- und Hochparterrewohnungen zu einer Ladenfläche auf zwei Ebenen zusammenzulegen. „Dagegen ist die grüne Baustadträtin Dorothee Dubrau Sturm gelaufen“, erinnert sich Schmidt. Waren die Ladenflächen für die Eigentümer das Polster für sozial verträgliche Mieten, galten sie dem Bezirk als Vernichtung von Wohnraum.

Geförderte Verdrängung

Am Ende gaben die Gerichte Schmidt und Radke Recht. „Und was ist das Ende vom Lied?“, ärgert sich Schmidt. „Als dem Senat das Geld ausging und die Gerichte die Mietobergrenzen kassiert haben, durften die Hausbesitzer ihre Mietwohnungen plötzlich in Eigentumswohnungen umwandeln.“ Das, meint Schmidt, habe mehr zur Verdrängung beigetragen, als es eine flexiblere Sanierungspolitik zuvor je vermocht hätte.

Die Fotos auf dem Küchentisch zeigen nicht nur das Vorher und das Nachher, sondern auch das Dazwischen. Das Leben wie Gott am Kollwitzplatz war über Jahre hinweg das Hausen auf einer Baustelle. Fast alles haben Schmidt und Radke selbst ausgebaut. „Als an einer tragenden Wand dann noch ein Bauschaden auftauchte“, sagt Schmidt, „hatte ich den Eindruck, als würde ich als Seiltänzer über den Rhein gehen, und mitten auf dem Fluss ist das Seil weg.“

Immerhin, das Seil hat gehalten. Auch wenn nicht alles so lief wie geplant. Dass von den zehn Mietparteien 1990 noch drei im Haus leben, kann sich sehen lassen, wie auch die Durschnittsmiete, finden Schmidt und Radke. Dass sie, um die Modernisierungskosten im Rahmen zu halten, zwei Wohnungen verkaufen mussten, wurmt die Künstler. „Aber anders hätte das nicht hingehauen“, meint Radke. Eins aber habe es in ihrem Haus nicht gegeben: Verdrängung. „Eine Mieterin ist ausgezogen, weil ihr die Wohnung zu klein war, einer anderen war sie zu groß“, zählt Radke auf. „Drei Mietparteien haben gebaut oder ein Haus geerbt. Das ist doch eine gute Bilanz.“

Dass die Gegend um den Kollwitzplatz etwas schicker geworden ist, stört die beiden nicht. „Heute ist der Kiez so bürgerlich, wie er während der Bauphase 1873 werden sollte“, blickt Schmidt auf die Geschichte seines Hauses zurück. „Nur hat das damals nicht geklappt, weil die Konkurrenz aus Charlottenburg so groß war.“

Infos: www.kollwitz52.de