Reality bites

Das Leben geht weiter: Cédric Klapischs Film „L’auberge espagnole – Wiedersehen in St. Petersburg“

Klapisch hat wieder seine jungen Schauspieler aus ganz Europa vereint

Wenn Fortsetzungen in der Regel schlechter sind als erste Teile, ist dieser Film eine Ausnahme. Warum sollte Cédric Klapisch auch plötzlich einen schlechten Film drehen? In „L'Auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr“ hatte Xavier (Romain Duris) seine Heimatstadt Paris für ein Erasmus-Jahr verlassen, um fürs Berufsleben Spanisch zu lernen. Er landete in einer chaotischen, gesamteuropäischen WG und kam emotional unter die Räder, beziehungsweise er blühte auf. Das Sprachenchaos, die katalanische Hauptstadt, verwirrende erotische Erfahrungen, Entfremdung von Mutter und zurückgelassener Freundin (Audrey Tautou) – am Ende wollte er nicht mehr Banker werden, sondern Schriftsteller und rannte vor den Akten weg. Man war gerührt und wusste wieder eine Seele gerettet. Würden doch mehr junge Menschen ihr Leben so über den Haufen werfen, es lebe Erasmus!

Jetzt also die Fortsetzung, für die Cédric Klapisch wieder dasselbe Ensemble von jungen Schauspielern aus ganz Europa vereint hat. Fünf Jahre später stellt sich heraus, dass es nicht so leicht ist mit dem unangepassten Leben für Xavier. Sein Buch „L'auberge espagnole“ hat er nicht an den Mann bringen können, er lebt von Gelegenheitsarbeiten, schreibt Auftragsbiografien und lässt sich dafür das aufregende Leben von Freestyle-Skatern oder verwöhnten Mannequins erzählen. Außerdem schreibt er Dialoge für eine Liebessoap, obwohl er im wirklichen Leben sein Beziehungsglück nicht findet. Er läuft langsam Gefahr, in seiner freien Existenz genauso angepasst zu enden wie in einer Firma, verstrickt in Lügengeschichten für Freundinnen, Auftraggeber und Kreditbearbeiter. Alles wie bei einer richtigen Karriere, nur ohne das tröstende Schmerzensgeld in Gestalt eines hohen Gehalts.

Er ist einfach zu reflektiert für oberflächliche Jobs und Liebesbeziehungen. Wie kann man sich auf die Liebe einlassen, wenn man von Klischees aus den Medien überschüttet wird? Wie glaubt man an etwas, wenn das Ende schon vorgeschrieben scheint? Wenn man zudem selbst sein Geld mit der Produktion solcher Klischeegeschichten verdient?

Klapisch hat wieder seinen typischen elegisch-komischen Ton getroffen, er weiß einfach, wie Dialoge klingen. Die Schauspieler sind sichtlich begeistert dabei, es wurde viel improvisiert und erst anschließend am Schneidetisch Regie geführt. Außerdem hält Klapisch das Tempo hoch, mit am Comic geschulten Erzählmitteln.

Der Barcelona-Teil hatte den Vorteil der Einheit des Orts, inzwischen sind die Freunde ausgeschwärmt, so dass man über jeden von ihnen einen eigenen Film in einem anderen Land drehen müsste. Das Drehbuch bemüht sich, sie wieder zusammenzuführen. Xavier trifft in London auf seine Ex-WG-Genossin Wendy, sie sind plötzlich Soap-Autor-Kollegen und bald auch ein Paar. Und weil Wendys Bruder eine russische Ballerina heiratet, sieht sich die ganze Barcelona-WG in Petersburg wieder, womit Osteuropa mit im Boot wäre.

Das klingt etwas beliebig, es hätte auch ein anderer von ihnen in Australien eine Melonenfarmerin heiraten können, wichtig ist aber gar nicht so sehr, was passiert, sondern wie Xavier damit umgeht. Wenn er im ersten Film lernen musste, dass man seine Träume nicht für die Karriere opfert, dann geht es für ihn jetzt darum, dass man sich manchmal der Realität stellen und Entscheidungen treffen muss. Sicher wird es eine weitere Fortsetzung geben, die Gefahr, dass die Figuren mit den Jahren ankommen und, wie im richtigen Leben, „normaler“ werden, muss man bei Klapisch nicht fürchten. Denn dessen Stärke liegt ja gerade darin, das Normale als Abenteuer zu erzählen. Also freut man sich schon auf Teil drei. JOCHEN SCHMIDT

„L'auberge espagnole – Wiedersehen in St. Petersburg“, Regie: Cédric Klapisch. Mit Romain Duris, Audrey Tautou u. a. Frankreich 2005, 125 Min.