Ein dröhnender Witz

DOOM Für die US-amerikanische Band SunnO))) ist Erntezeit. Was 1998 als eine Art Gottesdienst des Krachs seinen Anfang nahm, ist auf den internationalen Bühnen der höheren Kultur gelandet – und im Feuilleton

Ihr tiefstfrequentes Dröhnen sorgt bei zarteren Naturen mitunter sogar für Ohnmacht und Unwohlsein: SunnO)))

von Lars Brinkmann

Zum Berliner Gastspiel im Heimathafen Neukölln schicken gleich vier oder fünf der wichtigsten Tageszeitungen ihre motiviertesten Schreiber, und die kehren zurück als frisch bekehrte Jünger des Drones. Ihre Konzertkritiken kultivieren im euphorischen Taumel einen Formulierungswahn, den das Kulturmagazin „Perlentaucher“ mit vielen, ungewöhnlich langen Zitaten würdigt.

Da stellt zum Beispiel Volker Lüke im Tagesspiegel die rhetorische Frage: „Kann es Schöneres geben als endlos ausgedehnte Riffwalzen, wabernde Schleifgeräusche und die Stimme eines Wahnsinnigen, der hallverschleiert über Tod und Teufel meditiert?“; für die Berliner Zeitung verliert sich Jens Balzer im Sound: „Krtldrrrr. Brdlwrmmmmmmmm. Wrroarrrmmmmmm. Quietsch!“; und selbst der Typ von der FAZ berichtet von „körperlichen Überwältigungszuständen“, einer „seltsam erlösender Kraft” und der „totalen Gegenwart”.

Am Ende der Zusammenfassung schreibt der „Perlentaucher“ noch in Form eines Pflichthinweises: „Bereits gestern brachte die taz Andreas Hartmanns Konzertbericht.” Ohne ihn zu zitieren. Okay, dem „massierten Schallwellen die Magengrube” und ließen „dann so komisch die Beine erzittern” – reicht es, wenn wir als taz.nord an dieser Stelle sorry sagen?

Von weiter unten betrachtet, aus der Perspektive eines alten Earth- und SunnO)))-Fans, wirkt die Geschichte eher wie ein gigantischer Hoax, ein Schwindel, ein Witz – nur dass sich eben keiner traut, das immer weiter anschwellende O))) zum Platzen zu bringen. Warum auch? Je weiter und höher es geht, desto besser.

Der seit ein paar Jahren in Paris lebende Stephen O’Malley, die eine Hälfte von SunnO))), hat auch dank seiner Freundin, der Künstlerin, Choreografin und Regisseurin Gisèle Vienne, viel mit Theater zu tun; er macht jetzt auch zusammen mit Österreichs gewitztesten Kunst-Elektronikern Musik und alles läuft in hübsch geordneten Bahnen.

Die andere Hälfte, Greg Anderson, kümmert sich in Amerika um sein Label Southern Lord, und wundert sich noch immer über ihren Erfolg. In einem Interview mit der englischen Metal-Bibel Terrorizer bekannte er vor Kurzem: „SunnO))) war die letzte Band, von der ich vermutet hätte, dass sie irgendjemanden interessieren könnte.”

Ja, besinnt man sich auf den Ursprung der Band, wirkt das Geschehen erst recht wie ein gespielter Witz. Denn ursprünglich war das Ganze nichts anderes als eine etwas scherzhafte gemeinte musikalische Verbeugung vor dem marginalisierten Genie eines Mannes namens Dylan Carlson. Mit seiner Band Earth hatte Carlson ein knappes Jahrzehnt zuvor verlangsamte Black Sabbath-Riffs mit reduzierterer Minimal-Music kombiniert und damit ein Genre erfunden, das man heute Drone oder auch Drone Doom nennt.

Im Jahrzehnt von Techno und Post-Rock hat das nicht viele gekümmert und selbst Carlson verlor das Interesse an den Drones, hinzu kamen Krankheit, Drogensucht und ein zunehmend komplizierteres Leben. Als sich die beiden Metalheads und Earth-Fans O’Malley und Anderson nun daran machten, den Original-Sound der ersten Earth-Veröffentlichungen 1:1 nachzustellen, waren Earth faktisch tot (inzwischen geht es Carlson und der Band nicht zuletzt dank Southern Lord und SunnO))) besser denn je).

Nach ersten Demoaufnahmen, die später unter dem Titel „Grimmrobe Demos” auch auf Vinyl und CD erschienen, ließ SunnO))) zunächst im Jahrestakt stoisch eine Veröffentlichung der anderen folgen. Mit jedem weiteren Album halfen mehr Musiker dabei, das im Grunde sehr simple Konzept  – stark verkürzt: „so wenig Töne wie nötig, so laut wie möglich” – mit ihren jeweiligen Instrumenten zu veredeln.

Das im Grunde sehr simple Konzept – stark verkürzt: „so wenig Töne wie nötig, so laut wie möglich”

Und das ist auch das Geheimnis ihres Erfolgs. Denn trotz ihrer Herkunft suchen und finden SunnO))) Mitmusiker selten in der hermetisch abgeschlossenen Welt des Metals. Stattdessen geben sich bei ihnen vor allem Jazz-, Experimental- und Noise-Musiker die Türklinge in die Hand – oder was auch immer den Kollaborateuren dazu dient, im Kosmos der stehenden Riffs den Verstand zu bewahren, eine Tür und die Klinke in der Hand könnte dabei hilfreich sein.

Scott Walker, den SunnO))) letztes Jahr auf dem international abgefeierte Album „Soused” begleiten durften, verglich den Aufnahmeraum unter ihrem Einfluss mit einem Hochofen, einen „furnace of sound”. Ähnliches erwartet nun das Publikum am Sonntag auf Kampnagel.

Wie postulierte doch unser schwachsinniger Ex-Kanzler mit dem Koffer voller Geld so unschön aber richtig: „Am Ende zählt, was hinten rauskommt.” Und da kommt bei SunnO))) ein reichhaltiges Angebot von umspielten Tiefst-Frequenzen, die, so kolportieren die Musiker gern, regelmäßig bei zarteren Naturen für Ohnmacht und Unwohlsein sorgen. Der Rest des Publikums spricht häufig von Katharsis und fühlt sich nach den Konzerten „irgendwie gereinigt”.

Auch für unverbesserliche Wiederholungstäter, die bereits vor neun Jahren das – inzwischen legendäre – Konzert-Doppel mit Earth und SunnO))) in der Markthalle erleben durften, hält der Abend einige Überraschungen bereit: Neben Attila Csihar von der wohl legendärsten Black-Metal-Band aller Zeiten, Mayhem, sind auch der Niederländer Tos Nieuwenhuizen und seine prähistorischen Moog-Synthesizer im Tross. Das kann ja was werden.

So, 16.8., 21 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20