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Wie schön du bist, Maman!

MODE Eine fast unbekannte Vorreiterin für die Mode unserer Zeit wird im Pariser Palais Galliera wiederentdeckt – die schlichte Schönheit und der Glamour von Jeanne Lanvin

Jeanne Lanvin, von steinreichen Kundinnen „Madame“ genannt Foto: Roger-Violett/Lipnitzki/afp

von Annabelle Hirsch

Die Mode, diese seltsame, unstete Welt des ständig wechselnden Schönen und Glänzenden wird von zwei Menschentypen bestimmt: von jenen, die mit ihren Kreationen so eng verbunden sind, dass es fast unmöglich ist, den Namen ihrer Marke – im Französischen würde man sagen ihrer „griffe“ – zu nennen, ohne sofort ihr Gesicht, ihre Geschichte und ihre Haltung zum Leben vor Augen zu haben. Coco Chanel war so eine Person, Yves Saint Laurent vielleicht noch mehr und in jüngster Zeit würde man an Alexander McQueen denken, dessen viel zu kurzes Leben wie ein zusätzliches Kleid über seinen Werken liegt. Dann gibt es aber auch jene, die im Hintergrund agieren, von deren Existenz wir vielleicht schon einmal gehört haben, von denen wir aber im Grunde genommen überhaupt nichts wissen.

Zu dieser Kategorie von Modeschöpfern gehört Jeanne Lanvin. Lanvin, natürlich, der Name der Marke ist bekannt, die schlichte Schönheit und der Glamour ihrer Roben ebenfalls, nur denkt man in Bezug auf sie unwillkürlich an den kugelrunden Alber Elbaz, an seine schwarz umrandete Brille und seine stets um den breiten Hals gebundene Schleife. Keiner denkt an „Madame“, wie sie einst voller Bewunderung von ihren steinreichen Kundinnen und fleißigen Schneiderinnen genannt wurde.

Dem entgegenzuwirken, diese kleine Frau mit dem eigentlich sehr unscheinbaren Gesicht, das ihren starken Willen und vor allem ihren makellosen Geschmack so gut zu verbergen wusste, ist die Aufgabe einer Ausstellung, die derzeit im Palais Galliera zu sehen ist. Gemeinsam mit Elbaz, dem heutigen Chefdesigner der einstigen Couture-Marke, hat Olivier ­Saillard, Direktor des Pariser Modemuseums, eine Schau auf die Beine gestellt, die einen bezaubern muss.

Allein schon die Art, die ­fantastischen Stücke auszustellen, ist phänomenal. Lange Kleider aus schwarzer Mousseline und feinster Spitze, schwere Samt­roben im sogenannten „bleu Lanvin“, dazu die mit Perlen, Federn und Blumen bestickten Hüte treffen hier in einer ungewöhnlichen Szeno­grafie zusammen. Manche stehen im Raum – wie man das von Modeausstellungen gewohnt ist –, andere wiederum liegen, wie in einem Archiv, in großen schwarzen Vitrinen, über denen sich ein Spiegel aufklappt. Schaut man in den Kasten, sieht man das Kleid, schaut man in den Spiegel, sieht man es auch – nur ein wenig anders. Es ist, als würde es ein wenig belebt, und wenn man sich nur richtig ­hinbiegt, kann man es sogar für ein paar Sekunden „anprobieren“.

Die schwarzen Gerüste, die Elbaz und Saillard hier um die Kleider, Mäntel und Accessoires der 10er, 20er und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gebaut haben, verleihen ihnen einen frischen Teint. Sie wirken, als hätte man sie gerade von den Laufstegen dieser Welt heruntergeholt. Kein bisschen staubig, so gar nicht von gestern. Man entdeckt diese Dame, die 1867 in Paris geboren wurde und dort ihre Karriere als Modistin, als Hutmacherin begann, auch hier nur durch ihre Entwürfe. Das reicht freilich aus, weil sie sehr viel über Madame aussagen.

Zum Beispiel über ihre große Liebe zu ihrer Tochter. Ihre innige Beziehung zeigt sich auf dem von Paul Iribe gezeichneten Logo der Marke: eine Mutter und eine Tochter fassen sich bei den Händen und blicken sich freudig an, als würden sie zu einem Kreistanz aufbrechen. Auch die Presse übernahm diese Beziehung zwischen Jeanne und ihrer Tochter Marguerite, genannt „Ririte“, der späteren Comtesse de Polignac. In den Zeichnungen für La Gazette du Bon Ton werden Lanvins Entwürfe als moderne Mutter-Kind-Kollektionen gemalt, darunter stehen Dinge wie „Geht es deiner Mutter gut?“, „Hast du deine Hausaufgaben gemacht?“, „Warst du auch brav?“ oder „Wie schön du bist, Maman!“.

Allein schon die Art, die fantastischen Stücke auszustellen, ist phänomenal

Doch nicht nur das, in Lanvin ist auch eine unbekannte Vorreiterin für die Mode zu entdecken, wie wir sie kennen. Die Zeitgenossin großer Couturiers wie Charles Worth zeichnete Mitte der 20er Jahre die sogenannte „robe de style“, ein einfaches, historisierendes Kleid, das am Oberkörper eng anliegt und ab der Taille weit wird. Wer würde nicht an Christian Dior und seinen New Look denken? Auch die Länge der Kleider entspricht auf ganz überraschende Art und Weise dem Geschmack von heute. Während jüngere Kollegen wie Jean Patou oder Coco Chanel in den 30er Jahren auf knappe, provozierende Schnitte setzen, gibt sich Lanvin eher romantisch und verlängert die Röcke ihrer Kleider fast bis zum Boden. Die Idee der Reduktion und der Einfachheit à la Chanel scheint ihr fremd, und angesichts ihrer schwer bestickten Stücke ist anzunehmen, dass ihr das Kleid am Ende vielleicht doch wichtiger war als die ­Trägerin.

Bei Lanvin spielt die soziale Revolution eine untergeordnete Rolle. Sie ist eine Künstlerin, die sich auch, wie später ein Yves Saint Laurent, an der Kunst ihrer Zeit inspirierte, an Renoir und Vuillard, an Sonia Delauney und Picasso. Auch der Einfluss fremder Kulturen, allen voran der russischen, ist kaum zu übersehen, und immer wieder meint man in ihren Schwarz-Weiß-Kontrasten der 30er Jahre, auch japanische Noten zu erkennen.

Was aber macht den „style Lanvin“ nun wirklich aus? „Madame“ selbst sagte dazu nicht viel, nur das, was in der Mode grundsätzlich gilt: „Der Stil Lanvin hat einen Geist, der sich allerdings jede Saison im neuen Licht zeigt.“ Man möchte dem eigentlich nichts hinzu­fügen.

Bis 23. August, Palais Galliera, Paris

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