: „Gegner zu Boden ringen macht Spaß“
taz-Sommerserie Trendsportarten (7) Ein trashiger Film wird Wirklichkeit: Bei Jugger duellieren sich zwei fünfköpfige gemischte Teams mit rustikal anmutenden Waffen, zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld. Den Reiz daran beschreibt Franziska-Marie Lojewski
Interview Jens Uthoff
Früher Dienstagabend auf dem Tempelhofer Feld. Auf der Nordseite des Geländes finden sich auf dem Rasen etwas mehr als zehn Leute ein, um ihrem Lieblingssport nachzugehen: Jugger. Aus einem großen Materialwagen holen sie Gegenstände, die aussehen wie Schwerter, Schilder und Sträflingskugeln. Gleich geht das Training los. Eine der Spielerinnen ist die Berlinerin Franziska-Marie Lojewski.
taz: Frau Lojewski, man sieht hier immer wieder Leute, die neugierig zu Ihnen hinübergucken und sich zu fragen scheinen: „Was machen die denn da?“ Also: Was machen Sie denn da?
Franziska-Marie Lojewski: Jugger ist ein Teamsport, bei dem zwei Mannschaften gegeneinander antreten. In jeder spielen fünf Leute, vier davon sind mit Pompfen oder einer Kette ausgestattet. Außerdem hat jedes Team einen Läufer – der ist dazu da, die Punkte zu machen.
Moment. Pompfen sind die Lanzen, mit denen Sie aufeinander losgehen?
Ja, das sind Stäbe, die gepolstert sind. Es gibt viele verschiedene Formen dieser Pompfen: Langpompfen, Kurzpompfen … und es gibt auch Q-Tips – wie die Ohrstäbchen: Die sind an beiden Seiten gepolstert, bei denen ist der Griff in der Mitte. Damit duelliert man sich, wie auch mit der Kugel, die man an einer Kette schwingt.
Wie läuft das Spiel ab?
Es gibt einen Ball, den nennt man Jugg. Nur der Läufer darf diesen Ball anfassen. Er hat die Aufgabe, ihn auf die andere Seite des Feldes im „Mal“ zu platzieren – „Mal“ heißt das Tor beim Jugger. Bei uns ist das ein kleines Schaumstoffgefäß mit einem Loch drin. Da steckt man den Jugg rein. Das gibt einen Punkt. Die Teams versuchen, Ihr Mal zu verteidigen und einen gegnerischen Treffer zu verhindern.
Stimmt es, dass der Sport Jugger auf einem Film basiert?
Ja. Ohne ihn würde es Jugger nicht geben, und daher kommen auch viele Begriffe, die wir benutzen. Der Film heißt „Die Jugger – Kampf der Besten“ von David Webb Peoples und ist von 1989. Da gibt es eben diese Jugger, die von Dorf zu Dorf wandern, mit Waffen ausgerüstet sind und Schlachten schlagen. Ziemlich trashig. Daraus wurde in den Neunzigern der Sport entwickelt.
Woher kommt das Wort „Jugger“?
Ich glaube, das hat sich auch der Regisseur des Films ausgedacht.
29, ist in Kreuzberg aufgewachsen, studiert Biologie und spielt seit einigen Monaten Jugger im Jugger e. V. (Internet: jugger-berlin.de)
Spielt man immer auf den gleichen Positionen bei Jugger?
Es ist gut, wenn man sich spezialisiert. Ich bin zum Beispiel Läuferin.
Das heißt, Sie dürfen Treffer erzielen und können zur Heldin des Teams werden?
Genau, ich darf den Ball aufheben und in das Mal stecken. Ich werde verteidigt und geschützt von meinem Team. Die halten die anderen auf und versuchen, mir den Weg zu bahnen auf die andere Seite des Feldes.
Von welchen anderen Sportarten hat Jugger am meisten: vom Ringen, vom Rollenspiel oder vom Fechten?
Von einem Rollenspiel eher weniger – man spielt ja keine Figur oder so. Ansonsten kommt es auf die Position an: Die Pompfer fechten gegeneinander, bei mir als Läuferin geht es eher um Schnelligkeit und Koordination. Aber wenn der andere Läufer mir in die Quere kommt und ich mein Mal verteidigen möchte, dann darf ich ihn auch zu Boden ringen. Das macht Spaß! Dass es ein brutaler Sport wäre, ist trotzdem Quatsch.
Wie sind Sie zum Jugger gekommen?
Ich habe immer mal gehört, dass sich auf dem Flugfeld Leute mit Schaumstoffwaffen bekämpfen. Das hörte sich spannend an, das wollte ich ausprobieren. Ich hatte noch keine Ahnung, dass es ein richtiger Sport ist, bei dem es auch viel um Taktik geht. Als Jugger im Uni-Sport angeboten wurde, habe ich mich angemeldet.
Hat das Spielfeld eigentlich immer dieselbe Größe?
Ja, das ist genormt und ist eigentlich immer 40 Meter lang und 20 breit.
Worum geht‘s? Zwei Teams versuchen, „Male“ (= Tore) zu erzielen und werden von Gestalten mit Pompfen (Schaumstoffschwertern) daran gehindert.
Wer ist schon dabei? Mehr als 50 Teams in Berlin, mit Namen wie „Gott AG“ oder „Jugg Daniels“.
Wo geht‘s ab? Zum Beispiel auf dem Tempelhofer Feld.
Was braucht es dafür? Pompfen, Schilder, Ketten, Male, Bälle.
Was bringt‘s? Einen Riesenspaß. (taz)
Und die Spielzeit? Ich habe gehört, die Spieldauer misst sich in Steinen – können Sie das erklären?
Das bezieht sich wieder auf den Film: Darin misst sich die Länge der Kämpfe an einer bestimmten Anzahl von Steinen. Neben den Spielfeldern hängt in der Erzählung ein Blech, und einer wirft Steine dagegen, sodass es einen Ton gibt. Wenn der Ton ausklingt, wirft er den nächsten Stein. Und wenn alle Steine weg sind, ist das Spiel vorbei.
Aber hier wirft keiner Steine.
Wir haben kein Blech, aber eine Trommel. Ein Trommler schlägt da alle drei Sekunden drauf. Das ist für die Strafzeiten wichtig: Wenn man im Spiel vom Gegner abgeschlagen wird, muss man niederknien und eine bestimmte Anzahl von Trommelschlägen aussetzen. „Abknien“ nennen wir das. Hört sich fies an, aber man geht einfach nur mit einem Knie auf den Boden und zählt hinter dem Rücken seine Strafzeit ab – zum Beispiel fünf Trommelschläge.
Sie spielen immer in Mixed Teams. Ist das normal beim Jugger?
Ja. Die Anzahl der Juggerinnen nimmt auch stetig zu. Es ist kein genderspezifischer Sport. Man wird auch einfach nur als Mitspieler betrachtet und nicht als Mann oder Frau.
Ist Berlin eine Jugger-Hochburg?
In Berlin gibt es viele Teams und oft Turniere. Generell gibt es in Deutschland die weltweit meisten Teams; ich schätze, dass mehr als die Hälfte aller Teams aus Deutschland kommt. Wobei sich inzwischen in anderen Ländern wie zum Beispiel Spanien auch Jugger-Gruppen zusammengefunden haben.
Wie lange gibt es Ihren Verein?
Jugger e. V. besteht schon seit 1998. Bei uns gibt es aber viele verschiedene Teams, die dem Verein angehören. Die heißen etwa Grünanlagen Guerilla, Falco Jugger oder Sonnenwende.
Welches ist der geilste Moment bei einem Jugger-Spiel?
Schwer zu sagen. Es ist zunächst mal sehr spannend und actionreich, es geht alles sehr schnell. Man ist natürlich froh, wenn man einen Punkt erzielt. Am meisten gefällt mir das Teamplay – wenn alle so gut miteinander harmonieren, dass man zusammen zum Erfolg kommt.
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