: „Das Geld geht an meinen Chef“
TOILETTENFRAU Uljana, 58 Jahre alt, sitzt im Eingang einer Hamburger Bahnhofstoilette. In Russland war sie Lehrerin. Sie mag ihren Job, weil sie sitzen kann – das Knie macht ihr Probleme
Für mich ist der Job gut – ich habe Probleme mit dem Knie, deshalb ist es gut, wenn ich sitzen kann. Ich muss nur hin und wieder aufstehen und eine Toilette putzen, dann kann ich wieder sitzen. Gerade ist allerdings der Automat vom Drehkreuz kaputt, in den die Leute 50 Cent schmeißen müssen, um durchgehen zu können. Jetzt muss ich immer aufstehen und die Leute durch die Tür reinlassen – und die 50 Cent kassieren. Das ist anstrengend für mein Knie.
Das Geld geht an meinen Chef. Trinkgeld können die Leute auf den Teller legen, der auf meinem Tisch steht. Das machen sie aber nicht so viel. Manchmal kommen fünf Euro am Tag zusammen, manchmal weniger.
Die Bezahlung ist nicht so gut, aber für mich ist es gut. Vorher saß ich zwei Jahre zu Hause, das war gar nicht gut. Das ist zu viel Stress, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen. Lieber ein bisschen arbeiten, das ist besser. Ich bin einmal pro Woche hier, von 12 bis 20 Uhr. Dazu bekomme ich Sozialgeld.
Es ist entspannt, weil es hier im Bahnhof noch ein anderes Klo gibt. Dieses hier finden nicht so viele Leute. Gut für mich! Aber es ist trotzdem immer was los. Langeweile? Was ist das? Es gibt immer was zu tun.
Freitags und samstags ist es richtig voll, dann rufe ich meinen Mann an und er kommt und hilft mir. Er ist Rentner. Dann arbeitet er und ich sitze.
In Deutschland habe ich keine Kinder. In Russland habe ich vier Kinder, aber sie kommen mich nie besuchen. Sie sind aus erster Ehe. Aber einmal im Jahr fahre ich nach Russland, im Sommer. Aber nur 21 Tage. Das ist sehr kurz. Viele Deutsche wollen keine Kinder. Ich verstehe nicht, warum. Kinder haben ist gut.
In Russland war ich Lehrerin, für die erste bis zur vierten Klasse. Aber mein Deutsch ist zu schlecht, um hier zu unterrichten, und meine Gesundheit auch. Ich habe Deutschkurse gemacht, aber in jedem Kurs waren auch russische Leute, da lernt man nicht so gut.
Im 1-Euro-Job hab ich gelernt! Ich hab‘ alte Menschen gepflegt. Alte verstehe ich viel besser als junge Leute! Alte Frauen pflegen war gut, alte Männer nicht so gut. Ein Mann wurde im Frühling verrückt im Kopf, er ist mich angegangen. Mein Mann ist dann hingegangen und hat mit dem Heimpersonal geredet. Ich habe dann gekündigt.
Ich hatte vier Jobs in Deutschland, bevor ich diesen hier gefunden habe. Und vier Mal habe ich gekündigt. Dann habe ich diesen Job hier gefunden. Die anderen waren zu anstrengend für mein Knie. Ich habe im Büro sauber gemacht, da habe ich Rückenprobleme bekommen, vom Staubsaugen. Ich habe Spritzen bekommen, aber das hat nicht geholfen. Dann habe ich in Schulen sauber gemacht, aber das sind sehr viele Toiletten, die man in zwei Stunden sauber machen muss. Das ist sehr anstrengend, nicht gut.
Seit einem Jahr arbeite ich hier. Aber im Dezember machen sie zu. Deshalb glaube ich auch nicht, das sie das Drehkreuz vorher reparieren. Eine andere Firma übernimmt hier. Ich suche einen anderen Job, aber es ist schwer. Ich glaube nicht, dass ich was finden werde. Was soll ich machen?
Protokoll: Katharina Schipkowski
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