Berlinmusik

Wabernde Wälder

Alles neu macht der Paul. Für sein siebtes Album mit dem schlichten Titel „7“ hat der ältere Kalkbrenner, so wird nicht ohne Stolz verkündet, die ganzen Sounds auf seiner Festplatte gelöscht, aus denen er bisher seine weichen, flauschigen Tracks generiert hat, die exorbitante Erfolge feierten. „7“ wirkt lange nicht so gefällig wie manche seiner alten Aufnahmen, ganz zu schwiegen von den Konzerten, bei denen er sein Publikum in eine akustische Wohlfühlwolke zu hüllen versteht.

Aber, keine Angst, olle Paul kann schlussendlich doch nicht aus seiner Haut. Auch wenn mancher Track etwas unbehauen klingt, mancher Rhythmus nicht ganz so kräftig knallt, mancher Wattebausch nicht ganz so rosa leuchtet: Es finden sich noch ausreichend herzerwärmende Soul-Hymnen, himmelwärts blickende Walle- und Waberklänge und – mit dem absichtlich ungelenken „Shuffleface“ – auch jene akustischen Witze, die Kalkbrenner traditionell gern reißt. Exemplarisch dafür was ihn auszeichnet, mag „Feed Your Head“ stehen. Dafür durfte der mittlerweile 38-Jährige Jefferson Airplanes „White Rabbit“ samplen. Aber unter seinen Händen wird aus einem Song, der vor 48 Jahren eine drogenindizierte Paranoia in angemessen desaströse Klänge umsetzte, eine vor allem kuschelige Angelegenheit, die sich zum Original verhält wie ein Kräuterteeaufguss zu Crack.

Eine Kanne Brennesseltee sollte man sich auch aufbrühen, wenn man „Forest Pop“ hört. Das Debütalbum von Hanna & Kerttu klingt genau so, wie es der Titel verspricht. Zwar sieht das skandinavische Pärchen aus, wie man sich Neuberliner Nachtpflanzen vorstellt, sie hören sich aber eher an wie verschrobene Einsiedler, die nach Jahren im Wald nicht nur den Weg ans Licht gefunden haben, sondern auch ein paar Gerätschaften, mit denen man die seltsamen Geräusche, die in der Dunkelheit zu hören sind, aufnehmen und weiter bearbeiten kann. So scheinen nun Tiere zu jammern oder vielleicht bloß Gnome zu heulen, während eine Gitarre klimpert, Kinderinstrumente zerhackt werden und Hanna wie eine Elfe singt über Sirenen, russische Geister und finnische Automobile. Wer sich jetzt an CocoRosie erinnert fühlt, der liegt richtig, aber das konnten Hanna & Kerttu ja nicht wissen, als sie aus ihrem Wald gekrochen kamen.

THOMAS WINKLER

Paul Kalkbrenner: „7“(Columbia/Sony Music)

Hanna & Kerttu: „Forest Pop“ (Duchess Box Records/INgrooves)