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Archiv-Artikel

„Wir Professoren müssen nachsitzen“

MITSPRACHE Der Bildungsstreik ist nach Ansicht des Soziologen Michael Daxner der erfolgreichste seit über 30 Jahren. Die Studierenden sollten weitermachen

Michael Daxner

■ 62, ist Professor für Soziologie und jüdische Studien an der Uni Oldenburg und lehrt außerdem an der FU Berlin. Der ehemalige Hochschulpräsident Oldenburgs sitzt im Vorstand der Europäischen Rektorenkonferenz und fragte schon 1996 „Ist die Uni noch zu retten?“.

taz: Herr Daxner, seit 1975 verfolgen Sie jeden Hochschulstreik. Was ist neu an diesem?

Michael Daxner: Diesmal kommt der Streik von unten und wird nicht von hauptamtlichen Studentenfunktionären organisiert. Deren Legitimation ist angesichts der Wahlbeteiligung redundant. Diesmal ist es eine originäre Basisbewegung, die auch von Studierenden getragen wird, die man sonst als Konformisten betrachten würde. Das heißt, die Hochschulpolitik wird als Feld wiederentdeckt.

Haben sich die Inhalte des Streiks dadurch verändert?

Das führt natürlich dazu, dass die Forderungen außerordentlich uneinheitlich sind und zum Teil nicht zueinander passen. Sympathisch ist, dass sie nicht nur altruistisch sind, sondern sich ganz real auf die unmittelbaren Studienbedingungen beziehen. Die Studierenden sagen, sie wollen das Lernen genießen, in die Veranstaltungen gehen und nicht auf dem Flur sitzen.

Das klingt nicht besonders radikal oder politisch.

Diese Studenten sind politisch nur anders, als meine Generation es war. Bei uns hieß es, Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf, sang damals Wolf Biermann. Die jetzigen Studierenden sind Meister der Zwischentöne.

Sind sie dadurch erfolgreicher bei ihren Protesten?

Ich habe seit Jahren nicht so spannende, aggressive und kontroverse Diskussionen erlebt. Ich hoffe, eine Basisbewegung bleibt. An einigen Hochschulen haben Studierende und Lehrende vereinbart, sich regelmäßig zu treffen und Kataloge abzuarbeiten. Aber die Studierenden müssen ihre Forderungen noch stärker differenzieren.

Das heißt?

Also: Studiengebühren sind ein Problem, das man in drei Jahren gesetzlich lösen kann. Das ist für die meisten viel zu spät. Aber Hochschulentscheidungen über Gruppengrößen, über Zulassungsbedingungen, über Prüfungsleistungen kann man innerhalb eines Jahres fällen. Die Studierenden müssen sich also vor allem mit ihren Lehrenden und den Hochschulleitungen auseinandersetzen und nicht so sehr auf die Politik starren.

Ist es falsch, die Kultusminister zum Nachsitzen zu zwingen?

Die Kultusministerkonferenz ist eine Drohkulisse. Was die Minister sagen, wird keinerlei Folgen für die Realität im Hörsaal und bei der Erteilung von Scheinen und Prüfungen haben.

Die Beschlüsse der Kultusminister zur Veränderung der Studienbedingungen zählen nicht?

Das kann die Kultusministerkonferenz gar nicht festlegen. Das können die Studierenden und die Lehrenden viel besser. Was Geld und Gesetze betrifft und die Abschaffung unnötiger Bürokratie, bleiben die Minister in der Verantwortung.

Wieso hat man dann die Studienbedingungen nicht längst verbessert? Haben Sie und ihre Kollegen versagt?

Es stimmt, die meisten Professoren müssen nachsitzen. Für nichts sind wir so schlecht ausgebildet wie für das Herstellen von Lehrplänen und von Studienstrukturen. Aber das Wichtigste ist, dass innerhalb der Hochschulen ein Konsens über das Anspruchsniveau und die Kriterien der Studierbarkeit hergestellt werden. Da möchte ich, dass auch die Studierenden viel konkreter werden. Ich halte den Begriff „selbstbestimmtes Studium“ für unsinnig. Da muss man schon sagen, wie viel man bereit ist zu leisten.

Sollen die Studierenden mehr Mitsprache erhalten?

Die Studierenden brauchen in Studienfragen ein stärkeres Gewicht. Das heißt nicht, dass sie mit Mehrheit über die Inhalte und die Wissenschaft abstimmen können. Sie sollten aber das letzte Wort haben in Bezug auf Studierbarkeit. Dazu muss man keine Gesetze ändern, das kann man informell lösen.

Wenn man die Mängel bei den Studiengängen behebt, ist dann alles in Ordnung?

Nicht in Ordnung, aber besser. Es ist unverschämt, dass es jede Menge Zulassungsbeschränkungen in Deutschland gibt. Das ist eine völlige Missachtung eines Rechtsgrundsatzes unter Verweis auf die Haushaltslage. Aber jeder Studienberechtigte hat das Recht auf einen Studienplatz. Das kostet natürlich etwas, aber ich würde Geld von den Sozialbudgets zugunsten der Bildung umschichten.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN